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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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Antonino M sei also eindeutig ein degeneriertes Mitglied der kalabrischen Rasse.
    Viele Italiener hätten dem Kriminologen wahrscheinlich auch geglaubt, wenn er behauptet hätte, dass Kalabrier vier Arme und mitten auf der Stirn ein einziges Auge hätten. Kalabrien war Italiens ärmste Region und von marginalem politischen Interesse. Doch zu der Zeit, als Antonino Ms Schädel kriminologisch vermessen wurde, hatten geborene kalabrische Verbrecher wie er bereits das Gefängnissystem verlassen, um eine neue kriminelle Bruderschaft zu bilden.

4 DIE ’NDRANGHETA TRITT AUF DEN PLAN 1880 BIS 1902
    Rauer Berg
    Eine einzige geographische Gegebenheit definiert die Landschaft an der Südspitze Kalabriens: Das Bergmassiv des Aspromonte. Der »raue Berg« ist ein Ort von herber Schönheit. Im Süden und Osten, wo der Aspromonte am Ätna vorbei nach Nordafrika blickt, sind seine Flanken von der Sonne geröstet. Hier graben sich Schluchten in die Hänge und ergießen zementgraues Geröll in die türkisfarbene Weite des Ionischen Meeres. Im Frühling gedeihen in den geschützteren Tälern rosafarbener Oleander und gelber Ginster. Die höheren Lagen des Aspromonte dagegen sind mit dunklen Nadelbäumen und schlanken Birken bewachsen. Zwischen den Bäumen schlängeln sich Pfade hinauf zu den Gipfeln und den erlesenen Bergwiesen, ehe sie in jähe Schluchten hinabführen, die der Frühling mit dem Duft von Oregano erfüllt. Der Baldachin aus Bäumen schützt die üppigen Flanken im Osten, wo der Ausblick sogar noch hinreißender ist: die Meerenge von Messina, die Kalabrien von Sizilien trennt, die rauchenden Äolischen Inseln und das Tyrrhenische Meer.
    Nichts in dieser Landschaft ist von Dauer. Ihre menschlichen Bewohner klammern sich an die Küstenstreifen oder schaffen sich über den Schluchten sagenhafte Dörfer, Adlerhorsten gleich. In jedem Winter reißen Sturzbäche Felsbrocken aus den brüchigen Flanken, sprengen Erdrutsche grobe Schneisen in die sich gewissenhaft windenden Pfade. Ganze Dörfer, wie Roghudi und Amendolea, wurden von einem Tag auf den anderen verlassen, die Bewohner hinunter an die Küste getrieben.
    Heftige Erdstöße verleihen der Geschichte Südkalabriens einen tödlichen, unregelmäßigen Rhythmus. 1783 starben nicht weniger als 50 000  Menschen, und 1894 , 1905 und 1907 kam es zu einer Reihe von vernichtenden Beben …
    Auch nördlich des Aspromonte belegen Berge den Großteil der Landschaft in Kalabrien, lassen wenig Raum für die Küstenebenen und stellen ein beachtliches Hindernis dar für Reisende. Demzufolge begnügten sich die meisten Touristenführer aus dem 19 . Jahrhundert mit kaum mehr als einem flüchtigen Hinweis auf die zerklüftete Landschaft und die engstirnigen Bewohner der Region. Der Baedeker, obligatorischer Reisebegleiter für den wohlhabenden Nordeuropäer, riet 1869 seinen Lesern allenfalls, Kalabrien tunlichst zu meiden.
    »Die Dauer der Reise, die mittelmäßigen Unterkünfte sowie die Unsicherheit der Straßen, die in letzter Zeit zugenommen hat, schrecken selbst die Unternehmungsfreudigsten ab.«
    Dergleichen warnende Worte waren nicht unangebracht. Damals endete die Eisenbahn in Eboli. Doch Eboli lag noch weit von der nördlichen Grenze Kalabriens und 327  Meilen von Reggio Calabria entfernt, der Provinzhauptstadt an Italiens Stiefelspitze, wo der Aspromonte auf die Meerenge von Messina hinunterblickt. Sollte der Reisende in Eboli einen der drei Plätze ergattern, die in der Kutsche verfügbar waren, und dann noch Glück haben mit den Straßen, dem Wetter und den Wegelagerern, schaffte er die Strecke nach Reggio in dreieinhalb Tagen. Unterwegs würde er nervös in die Wälder und Felsen starren und sich dabei schaudernd der jüngsten Geschichten von grausamen Räubern erinnern.
    1871 stellte die Volkszählung fest, dass 87  Prozent der Kalabresen weder lesen noch schreiben konnten. In vielen Gegenden wurden zahlreiche Bauern von gewissenlosen Grundbesitzern ausgebeutet. Leopoldo Franchetti, ein jüdischer Intellektueller aus der Toskana, der zu den wenigen Furchtlosen gehörte, die die kalabrische Gesellschaft unter die Lupe nahmen, schrieb 1874 :
    »Bei den Unterdrückten sind zwei extreme Haltungen vorherrschend: auf der einen Seite Furcht, Gehorsam und die kriecherischste Unterwürfigkeit; auf der anderen die brutalste, grausamste Rebellion. Dazwischen gibt es nichts.«
    Von Franchetti erfahren wir auch, dass die Kommunalverwaltung in Kalabrien ein zwielichtiges,

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