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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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verbreitet.
    Schon bald nach ihrer Entstehung musste die
Picciotteria
einer Justizoffensive standhalten, die wirksamer war als jede, der das organisierte Verbrechen in Neapel oder Sizilien davor ausgesetzt gewesen war. In den Jahren, die den ersten alarmierenden Vorkommnissen um den Aspromonte herum und zu beiden Seiten des südlichsten Abschnitts der Apenninen folgten, wurden viele hundert kalabrische
picciotti
– zwischen 1885 und 1902 waren es laut Aussage eines Staatsanwalts vor Ort exakt 1854 – vor Gericht gestellt, verurteilt und hinter Gitter gebracht. Allein diese Tatsache verrät uns etwas Wesentliches: Die Gangster Kalabriens wurden damals noch nicht im selben Maße von einflussreichen Personen protegiert wie die neapolitanische Camorra oder gar die sizilianische Mafia.
    Und doch blieb die
Picciotteria
im übrigen Italien fast vollkommen unbekannt. Im Gegensatz zu Mafia und Camorra löste sie keine parlamentarischen Untersuchungen oder Debatten aus, keine Empörungsstürme in überregionalen Zeitungen, keine soziologischen Nachforschungen, keine Gedichte oder Theaterstücke. Sie kümmerte niemanden: Schließlich war man in Kalabrien.
    Das mangelnde Interesse an der
Picciotteria
, dazu die Geschichte Kalabriens mit seiner Misswirtschaft und den Naturkatastrophen, führte dazu, dass Historiker heute zu wenig Zeugnisse vorfinden. Es war zweifellos die Stadt Reggio Calabria, in der die
Picciotteria
zu Beginn der 1880 er Jahre zum ersten Mal in Erscheinung trat, doch haben nicht genügend Dokumente überlebt, die uns die näheren Umstände erklären könnten. Anderswo jedoch hinterließen erste Gerichtsverhandlungen eine zwar dünne, aber wertvolle Schicht Papier, die nach Hinweisen auf die Anfangsjahre des organisierten Verbrechens in Kalabrien durchforstet werden kann. Und wie sich herausstellt, verliefen die Anfänge der ’Ndrangheta weitaus geradliniger als jene der Camorra oder der Mafia. An zwei Orten vor allem haben genügend Polizeidokumente aus dem 19 . Jahrhundert überlebt, um uns ein klares Bild von jenen Anfängen zu übermitteln. Ein späteres Kapitel beschäftigt sich mit dem berüchtigtsten dieser Orte: dem Dorf Africo, 700  Meter über der ionischen Küste gelegen. Als es 1953 , aufgrund einer verheerenden Flut, schließlich verlassen wurde, war sein Name zum Inbegriff für die Isolation und Armut der kalabrischen Berggemeinden – aber auch für das organisierte Verbrechen – geworden.
    Doch bevor wir uns nach Africo begeben, führt uns die Geschichte von den Ursprüngen der ’Ndrangheta zur gegenüberliegenden Flanke des Aspromonte, in ein verhältnismäßig reiches, mächtiges Städtchen. Eines der Geheimnisse hinter dem erfolgreichen Überleben der ’Ndrangheta über die Jahre ist ihre Fähigkeit, den Spagat zwischen Wohlstand und Elend zu meistern – zwei gegensätzliche Gesichter des Rauen Berges.
    Der Baum der Erkenntnis
    Wo der Aspromonte das Tyrrhenische Meer berührt, thront auf einer Klippe Palmi. Nach Nordosten bietet der Ort einen verführerischen Ausblick auf die Ebene von Gioia Tauro, eine fruchtbare Senke, die von den Bergen sanft zum Meer hin abfällt. Die Ebene war Kalabriens Pendant zum »Goldenen Becken« rings um Palermo im ausgehenden 19 . Jahrhundert. Das Land war in kleinere landwirtschaftliche Flächen unterteilt, nicht in große Ländereien, was nicht zuletzt daran lag, dass die meisten Kirchengüter nach der Einigung Italiens beschlagnahmt und privatisiert worden waren. Es gab auch in Gioia Tauro viele Zitrushaine, wenn auch die Bewässerung nicht so ausgeklügelt funktionierte wie auf Sizilien. Bedeutender für die Wirtschaft von Städten wie Palmi waren die berühmten Olivenbäume, ebenso groß und verehrungswürdig wie Eichen. Seit in französischen Weingärten die Reblaus wütete, eine Verwandte der Blattlaus, die sich von den Wurzeln und Blättern der Rebstöcke ernährte, rückte hier im Süden Italiens der Weinanbau in den Vordergrund. Italienische Bauern, nach Kräften bemüht, die Versorgungslücke zu füllen, fällten in der Ebene von Gioia Tauro sogar Olivenbäume, um für die Trauben Platz zu schaffen.
    In den 1880 er Jahren war Palmi eine Stadt mit etwa 11 000 oder 12 000  Einwohnern, was nach den Maßstäben der Region nicht klein war. Im südlichen Kalabrien verteilte sich die Bevölkerung auf kleine Zentren, von denen in den 1880 er Jahren wenige mehr als 5000  Menschen beherbergten. Sogar die Provinzhauptstadt Reggio Calabria konnte ihre

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