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Ondragon - Menschenhunger

Ondragon - Menschenhunger

Titel: Ondragon - Menschenhunger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Strohmeyer Anette
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tätschelte ihm die Wange und verschwand dann im dunklen Wald.

50. Kapitel

    2009, Moose Lake, im Wald

    Es wurde noch dunkler. Der Wald um ihn herum war beängstigend still. So still, dass er sein eigenes Herz schlagen hörte. Es war ein träger Rhythmus. Matt und kraftlos. Ondragon hob den Kopf, der einzige Körperteil, den er noch bewegen konnte, der Rest litt unter Blutstau und schweißtreibenden Fieberwellen. Blinzelnd blickte er sich um. Er spürte die spröde Rinde am Hinterkopf, hörte das Schaben seines Schädels, während er sich umblickte, konnte aber nichts erkennen als dunkle, schweigende Baumstämme, die ihn anglotzten. Immer wieder verschwamm die Sicht vor seinen brennenden Augen, und er schloss erschöpft die Lider. Die Dunkelheit war nicht sein größter Feind. Die Stille war viel brutaler. Sie war wie ein Verstärker, der jedes noch so kleine Geräusch in die Fußtritte eines Brontosauriers verwandelte. Seine Fantasie spielte ihm Streiche und ließ ihn die unmöglichsten Dinge hören. Einmal dachte er, ein Bär würde sich ihm nähern. Er hörte ein Brummen und das Kratzen von Krallen an Baumstämmen. Ein anderes Mal hörte er die Stimme eines Kindes, das nach ihm rief. Per!
    Ondragon ließ den Kopf hängen. Er war schrecklich müde, doch seine Ohren waren weit aufgesperrt. Beinahe schmerzhaft horchten sie ununterbrochen in die schwarze Leere wie die Parabolantennen der NASA ins All. Unter den fünf Sinnen, mit denen der Mensch ausgestattet war, besaß das Gehör als einziger die Macht, den Organismus wach zu halten, oder aus dem Tiefschlaf zu rütteln, um vor etwaigen Gefahren zu warnen. Stumm bat Ondragon seine Ohren, doch mal eine Pause einzulegen. Er brauchte keine Warnung. Wozu auch? Er war hier an einen Baum gefesselt, unfähig auch nur mit dem Zeh zu wackeln. Was sollte er schon tun können, wenn sich ihm etwas mit der Absicht näherte, ihn aufzuessen? Schnaufend sog er Luft durch die Nase ein, um es kurz darauf noch einmal zu tun. Hatte er sich geirrt? Roch es plötzlich nach Verwesung, oder erlag er erneut einer Sinnestäuschung? Schlagartig pumpten seine Nebennieren heißes Adrenalin durch seinen Körper, und ein unkontrolliertes Zittern bemächtigte sich seiner verschnürten Glieder.
    Es war da!
    Da draußen!
    Erschrocken riss Ondragon die Augen auf, um mehr sehen zu können. Immer wieder wandte er seinen Kopf. Es war verrückt. Er glaubte nicht an Kateris Waldmonster, und doch kam es auf ihn zu, aus Fleisch und Blut. Oder besser gesagt, aus Fell und Zähnen.
    Langsam löste sich die Gestalt aus dem finsteren Unterholz und glitt mit grotesk langen Schritten auf ihn zu. Zwanzig Schritte, zehn, fünf. Dann stand es direkt vor ihm. Es hatte sich vollkommen lautlos bewegt.
    Ondragon blickte in die kleinen, rotglühenden Augen. Das war ein schlechter Traum. Eine Fieberfantasie! Er blinzelte heftig, um das Bild zu verscheuchen.
    Doch der Wendigo blieb. Er beugte sich zu ihm hinab, schien mindestens zehn Fuß groß zu sein, und schnüffelte an der Wunde auf Ondragons Stirn. Brummend stieß er daraufhin einen Schwall fauligen Atems aus. Ondragon hielt die Luft an und schloss die Augen. Der Gestank war infernalisch. Eine unbeschreibliche Mischung aus explodierter Biogasanlage und Fäulnis. Plötzlich spürte er, wie der Baum in seinem Rücken erbebte. Erschrocken sah er zu dem Monster hinauf. Es hatte sich auf seine Hinterbeine gestellt und stieß wütend immer wieder mit seinen Vorderpranken gegen den Baumstamm mehrere Meter über seinem Kopf. Das Holz stöhnte und ächzte, trockene Äste rieselten auf ihn hinab, und schließlich ertönte ein ohrenbetäubendes Splittern, als der Stamm über ihm barst, und die Krone des Baumes behäbig zu Boden krachte. Der Wendigo ließ sich zurück auf seine vier Beine sinken und starrte ihn eine lange Zeit an.
    Jetzt ist es aus! Der fabelhafte Paul Eckbert Ondragon würde von einem genauso fabelhaften Wesen in Stücke gerissen werden, nur mit den stummen Bäumen als Zeugen und dem feuchten Wald als Grab. Seltsamerweise empfand er bei diesem Gedanken Erleichterung. Es war immer noch würdevoller, vom Wendigo massakriert zu werden als von einer unprofessionellen Möchtegernrächerin eine Kugel aus seiner eigenen Waffe verpasst zu bekommen. Ein geradezu episches Ende. Zufrieden schloss er die Augen und wartete auf den Schmerz und auf das warme Gefühl von Blut auf seiner Haut.
    Doch es geschah nichts.
    Stattdessen hörte er eine Stimme. Aber nicht mit seinen

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