Ondragon - Menschenhunger
den schwarzen Baumstämmen auf. Ondragon hatte keine Orientierung mehr. Er wusste weder, wie spät es war, noch in welche Richtung sie sich bewegten. Mit schmerzenden Gliedern schleppte er sich den Pfad entlang und spürte, wie seine aufgequollenen Füße jedes Mal aufheulten, wenn sich etwas Spitzes in seine Fußsohlen bohrte. Schließlich hatte er die Schnauze voll vom Schweigen seiner grimmigen Kidnapperin und versuchte, ein Gespräch anzuleiern. Vielleicht ließ sich ja noch etwas aus Kateri herausbekommen. „Warum lässt du dich von Dr. Arthur instrumentalisieren? Warum riskierst du es, im Gefängnis zu landen? Denk doch an deine Karriere an der Universität, an deine Forschung. Ist das nicht das Leben, das du führen wolltest?“, fragte er, wagte es aber nicht, sich nach Kateri umzudrehen.
„Was weißt du schon von meinem Leben! Nichts! Du bist auch bloß so ein affektierter Yuppie mit einem kleinen Pseudoproblemchen. Du hast nicht die geringste Ahnung, wie das ist, wirklich Probleme zu haben! Jede Nacht quälen mich Alpträume. Jede Nacht sehe ich meine Eltern, wie sie anklagend ihre Finger gegen mich erheben. Ist das etwa lebenswert? Diese Schuld, die mich überallhin verfolgt und die mir niemand nehmen kann?“
Ondragon schüttelte den Kopf. „Und warum machst du es dann noch schlimmer, indem du für Dr. Arthur Morde begehst? Du bist eine intelligente Frau, Kateri, denk doch mal nach. Dr. Arthur benutzt dich nur. Du könntest für ihn in den Knast wandern, und der feine Herr würde nichts anderes tun, als sich ins Fäustchen zu lachen, dass du so dumm warst.“
„Es wäre nicht mein erster Mord.“
Ondragon schwieg. Diese Frau war eiskalt. Sie war eine Verrückte, eine Kannibalin, die sich einfach nahm, wonach es ihr gelüstete.
„Weißt du, dass meine Mutter noch gelebt hat nach dem Absturz?“, sprach Kateri mit gedämpfter Stimme weiter. „Leider waren ihre Beine zwischen den Armaturen und dem Sitz zerquetscht worden, der abgebrochene Steuerknüppel hatte sich in ihren Unterleib gebohrt.“ Sie machte eine Pause, in der Ondragon meinte, ein heftiges Einatmen zu hören. „Sie hat mich angefleht, sie zu töten. Zuerst habe ich mich geweigert, ich war ein dreizehnjähriges Mädchen! Wie kann man so etwas von mir verlangen? Doch unsere Stammesregeln besagen, dass ein Kind niemals den Wunsch seiner Eltern missachten darf. Also habe ich meiner Mutter Mund und Nase zugehalten, bis sie sich nicht mehr gewehrt hat. Ich habe ihren Wunsch erfüllt, und war danach ganz allein - und ohne Essen. Unser Flugzeug hatte keine Lebensmittel geladen, weil wir auf dem Rückweg vom Camp in die Zivilisation waren, da nahm man keinen Proviant mit. Ich fand nur eine Tüte mit Schokoriegeln. Unsere Stammesregeln sagen auch, dass man keine Menschen essen soll. Und ich wollte auf keinen Fall zum Wendigo werden, das war ein schrecklicher Gedanke für mich. Zuerst teilte ich mir die restlichen Schokoriegel ein, doch die waren nach drei Tagen alle. Danach aß ich nichts mehr außer Schnee, doch der Hunger ist unerbittlich. Er zerfleischt einen von innen her. Es hat nochmal vier Tage gedauert, bis ich eine Entscheidung traf. Ich wollte nicht sterben. Und meine Eltern boten mir diesen Ausweg, obwohl sie längst tot waren. Danach habe ich meinen Vater aus dem Flugzeug in den Schnee gezogen und begonnen, ihn zu zerlegen. Später attestierte man mir, dass ich unter Schock gestanden habe. Und dieser Schock hätte es mir ermöglicht, diese entsetzlichen Dinge zu tun.“
Ondragon konnte ihren kalten Zorn spüren, der sich gegen seinen Rücken richtete. Als ob er etwas für diesen tragischen Unfall könnte. Arme, verrückte Kateri, aus ihr würde nie wieder ein normaler Mensch werden. „Dafür mache ich dir keinen Vorwurf, Kateri“, sagte er beschwichtigend. „Wer weiß, vielleicht hätte ich in deiner Situation dasselbe getan. Dass du dich aber von Dr. Arthur für seine schmutzigen Spielchen benutzen lässt, das ist unverzeihlich.“
„Wir tun hier nichts Unrechtes. Wir versuchen bloß, mit unserem Schicksal umzugehen. Einem Schicksal, das normale Menschen wie du niemals verstehen werden. Jonathan ist ein großartiger Mensch, er hilft uns, wo andere uns im Stich gelassen haben. Er hat diesen Ort hier geschaffen, die Cedar Creek Lodge. Sie ist unsere Zufluchtsstätte, eine Oase inmitten der Ablehnung der Welt da draußen. Hier fühlen wir uns wohl.“
„Wie überaus romantisch.“
„Alles war in Ordnung, bis dieser Jeremy
Weitere Kostenlose Bücher