Ondragon - Menschenhunger
prallen und wurde auf den Rücken geschleudert. Ein scharfer Stich durchzuckte seine Schulter und raubte ihm beinahe den Verstand. Unfähig sich zu rühren, blieb er liegen. Der Tod blickte ihn an.
Das kam ihm heute bei nüchternem Tageslicht betrachtet albern vor, aber genauso hatte er es empfunden. Er war bereit gewesen, zu sterben.
Dann war ein Schuss gefallen.
Das Biest, was immer es auch war, hatte mit einem zischenden Stöhnen von ihm abgelassen und war mit riesigen unnatürlichen Sätzen im nächtlichen Wald verschwunden. Parker war liegen geblieben und hatte benommen in den dunklen, sternenlosen Himmel gestarrt, während ihm die Schneeflocken kühl auf sein Gesicht fielen.
„Und was, glauben Sie, ist es gewesen, dieses … Ding? Ein Wolf oder ein Bär?“, fragte Lieutenant Stafford mitten in Parkers Gedanken hinein. Die Nase des Lieutenants war rot von der Kälte und in seinem blonden Backenbart hingen kleine Eiskristalle.
Der alte Fallensteller wischte sich mit dem Handschuh über die müden Augen. „Wenn ich ehrlich bin, …ich weiß es nicht. Es hatte mit nichts Ähnlichkeit, was ich je gesehen habe.“
„Vielleicht war’s ‘nen Werwolf“, schlug Sergeant Hancock belustigt vor. „Einige der Siedler in der Gegend behaupten, es gäbe hier einen!“ Hancock grinste, aber der Lieutenant verzog keine Miene. Man konnte deutlich sehen, dass er für solchen Humbug nichts übrig hatte.
Eine Pause trat ein.
„Kein Werwolf“, sagte schließlich Two-Elk mit dunkler Stimme in das Schweigen hinein. „Werwolf ein weißer Geist. Dies hier Geist der Brüder vom Rat der drei Feuer. Wendigo - mächtiger Geist, böser Geist! Immer hungrig! Immer essen!“
„Sicher, der Wendigo!“, rief der Lieutenant mit einem sarkastischen Lachen aus und tippte sich mit dem Bleistift an die Stirn. „Den hatte ich ganz vergessen. Auch so eine Sagengestalt. Mal sehen, wer es noch gewesen sein könnte?“ Er zählte mit dem Bleistift seine Finger ab. „Ein Sasquatch, ein Oger, die gemeinen Harpyien oder Vampire. Ja, es waren bestimmt Vampire.“ Er stieß gereizt Luft aus. „Wendigo, Werwolf, das ist doch alles Quatsch! Solche Wesen gibt es nicht. Das sind bloß Schauermärchen.“
„Da wäre ich mir nicht so sicher, Lieutenant. In diesen Wäldern gibt es Orte, an denen kein Mensch je gewesen ist, und Dinge, die wir nicht verstehen. Die Indianer ...“
„Ich sage, es waren die Indianer!“, platzte der Sergeant erneut dazwischen und erntete einen finsteren Blick von Two-Elk. Doch er ignorierte den gedrungenen Chippewa-Krieger und redete ungeniert weiter. „Das liegt doch auf der Hand, wenn man in die Hütte sieht. Zugegeben, es erfordert einen ganzen Mann, dabei einen klaren Blick zu behalten, aber nur diese verdammten Rothäute sind in der Lage, ein grausames Gemetzel wie dieses anzurichten. Das sind Tiere auf zwei Beinen! Rote Bestien! Wir müssen sie dafür bestrafen!“
„Nun machen Sie mal halblang, Sergeant! Wir sind hier, um die Sache zu untersuchen und nicht, um voreilige Schlüsse zu ziehen.“
Während der ungehobelte Hancock weiter unmissverständlich gegen die Indianer hetzte, konnte Alan Parker nicht verhindern, dass ein weiterer Splitter seiner Erinnerung sich tief in seine Gedanken bohrte: Das Innere der Hütte - grell und unauslöschbar hatte es sich in die Windungen seines gemarterten Hirns eingebrannt.
Als er sich von dem Angriff des unheimlichen Wesens erholt und Two-Elk ihm auf die Beine geholfen hatte, war er zusammen mit seinen Begleitern in das Blockhaus geeilt. Der Gestank, der ihnen entgegenschlug, war entsetzlich und irgendwie viehisch - eine Mischung aus frisch entnommenen Eingeweiden, Wildkatzenurin und Verwesung. Die Szene, die sich ihnen bot, war jedoch noch viel entsetzlicher!
Im ganzen Wohnraum waren Körperteile und blutige Klumpen von Organen und Fleisch verteilt. Wie grausige Girlanden hing silbrig schimmerndes Gedärm über Tisch und Stühle verteilt. Knochen waren aus den bläulich glänzenden Gelenken gerissen worden und Haut von den Muskeln. Bis zur Unkenntlichkeit verstümmelte Rümpfe stapelten sich in einer Ecke, und aus der anderen starrten ihnen anklagend die skalpierten Schädel der vierköpfigen Familie mit ihren verwüsteten Gesichtern entgegen. Das Schlimmste aber war, dass das Ding begonnen hatte, die Leichen zu fressen. Eindeutig erkannte Parker die ausgefransten Bissspuren in dem weichen Gewebe der verstümmelten Gliedmaßen und an den weißlichen Knochen, die
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