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Onkel Robinson

Onkel Robinson

Titel: Onkel Robinson Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jule Verne
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Die vor Kälte schmerzenden Hände hatte er unter das Tuch seiner Mutter gesteckt. Seine Schwester, ein kleines Mädchen von sieben Jahren, lag neben ihm, von den Armen der Mutter umschlungen, im Halbschlaf, ermüdet vom Rumpeln der Dünung. Durch das Schlingern des Bootes wurde ihr Kopf hin und her geschüttelt.
    Wie gesagt war jener 25. März ein kalter Tag; von Norden her wehte eine steife Brise, und zuweilen fuhren eisige Windstöße über die Unglücklichen hinweg, die in ihrem verlassenen Boot zu leicht bekleidet waren, um der Kälte standhalten zu können. Offensichtlich waren sie von einer Katastrophe, einem Schiffbruch oder einem Zusammenstoß, heimgesucht und dadurch gezwungen worden, in aller Eile in dieses Beiboot zu flüchten. Darauf deutete auch, daß sie nur wenig Lebensmittel mit sich führten, ein wenig Schiffszwieback und zwei oder drei Stück Pökelfleisch, die in einer Kiste im vorderen Teil des Bootes verwahrt waren.
    Als der kleine Junge sich halb aufrichtete, sich mit der Hand über die Augen fuhr und murmelte: »Mutter, ich hab Hunger«, da stand der Seemann sofort auf, holte aus der Kiste ein Stück Zwieback, hielt es dem Kind hin und sagte gutmütig lächelnd: »Iß nur, Kleiner, iß! Und wenn nichts mehr da ist, dann ist vielleicht doch noch etwas da!«
    Da faßte der kleine Junge wieder Zuversicht, biß herzhaft in die krustige Schnitte und legte seiner Mutter wieder den Kopf auf die Schulter.
    Die arme Frau, die bemerkt hatte, wie sehr ihre Kinder in ihren dünnen Sachen zitterten, hatte sich für sie aufgeopfert. Sie hatte ihr Umschlagtuch abgenommen, um sie wärmer zuzudecken, und so konnte man jetzt ihr schönes, ebenmäßiges Gesicht sehen, ihre großen schwarzen Augen, die so ernst und gedankenvoll dreinblickten, ihre zutiefst von mütterlicher Zärtlichkeit und Pflichtbewußtsein geprägten Züge. Sie war »eine Mutter« im edelsten Sinne des Wortes, eine Mutter, wie Washington, Franklin oder Abraham Lincoln sie gehabt haben mußten, eine Frauengestalt aus der Bibel, stark und mutig, entstanden aus einem Zusammenwirken aller Tugenden und aller Arten inniger Liebe. Wenn man sie so mitgenommen und den Tränen nahe sah, dann mußte sie schon ein Schlag von tödlicher Härte getroffen haben. Ganz offensichtlich kämpfte sie gegen die Verzweiflung an, doch wie hätte sie verhindern sollen, daß ihr die Tränen vom Herzen zu den Augen emporstiegen! Gleich ihrem ältesten Sohn wandte auch sie sich mehrfach dem Horizont zu und suchte jenseits dieses Meeres nach irgend etwas Unsichtbarem; da sie jedoch nichts erblickte als diese ungeheure Wüste, ließ sich die bedauernswerte Frau in das Boot zurücksinken, und man spürte, daß ihre Lippen sich noch weigerten, die Worte christlicher Schicksalsergebenheit hervorzubringen, die da lauten: »Herr, dein Wille geschehe!«
    Die Mutter hatte ihr Tuch um die beiden Kinder geschlungen, obgleich sie selbst nur leicht gewandet war. Ein einfaches Wollkleid und eine recht dünne Weste konnten sie nicht vor der schneidenden Märzbrise schützen, und unter ihren breitkrempigen Hut fuhr nach Herzenslust der Wind. Ihre drei Jungen trugen alle eine Tuchjacke, eine Hose und eine Weste aus Wolleder und auf dem Kopf ein Mütze aus Wachstuch. Doch über diese Kleider hätten sie einen anständigen Regenmantel mit gutgefütterter Kapuze gebraucht oder einen Reisemantel aus dickem Stoff. Die Kinder klagten jedoch nicht über die Kälte. Sie wollten gewiß ihre Mutter nicht in noch tiefere Verzweiflung stürzen.
    Der Seemann trug eine gerippte Kordsamthose und eine Matrosenbluse aus brauner Wolle, die ihn nur unzureichend vor den beißenden Winden bewahren konnten. Doch besaß der gute Mann ein warmes Herz, eine wahre Lebensglut, mit der er sich körperlichem Ungemach kräftig entgegenzustemmen vermochte. Daher litt er mehr unter den Schmerzen anderer als unter seinen eigenen. Und als er zusah, wie die Unglückliche sich ihres Tuches entledigte, um ihre Kinder zuzudecken, da bemerkte er auch, daß sie selbst zitterte und mit den Zähnen klapperte, wie sehr sie sich auch zusammennahm.
    Da nahm er das Tuch, legte es der Mutter wieder um die Schultern, zog die von seinem Körper noch ganz warme Matrosenbluse aus und deckte sie sorgfältig über die beiden Kleinen.
    Die Mutter wollte sich dem widersetzen. »Ich komme um vor Hitze«, antwortete darauf der Seemann und fuhr sich mit dem Taschentuch über die Stirn, als gelte es, dicke Schweißtropfen wegzuwischen.
    Da

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