Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Onkel Toms Hütte

Titel: Onkel Toms Hütte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beecher-Stowe Harriet
Vom Netzwerk:
nicht lange, und Tom war mit allem vertraut, was er in seiner neuen Umgebung zu hoffen und zu fürchten hatte. Er war erfahren und tüchtig bei allem, was er anpackte, und aus Gewohnheit wie aus Prinzip zuverlässig und treu. Von Haus aus ruhig und friedlich, hoffte er durch unablässigen Fleiß wenigstens das Schlimmste von sich fernhalten zu können. Er sah genug Elend und Erniedrigung, um in Verzweiflung zu versinken; aber er beschloß, in himmlischer Geduld auszuharren, sich in die Hände Gottes zu befehlen und die Hoffnung nicht fahren zu lassen, daß ihm noch eine letzte Flucht offenstünde.
    Legree nahm wohl Notiz von Toms Anstelligkeit. Er schätzte ihn als erstklassigen Arbeiter; dennoch spürte er eine geheime Abneigung gegen ihn – die innere Antipathie des Bösen gegen den Guten. Er sah deutlich, daß, wenn seine Wut und Heftigkeit auf die Hilflosen niederfiel – wie es häufig geschah –, Tom es bemerkte; denn so fein sind die Schwingungen unserer Gefühle, daß sie sich auch ohne Worte übertragen; selbst die Gefühle eines Sklaven können einen Herrn ärgern. Tom bekundete auf verschiedene Weise ein Zartgefühl, ein Mitleid mit seinen Leidensgenossen, das ihnen seltsam und neu war und von Legree mit eifersüchtigem Auge beobachtet wurde. Er hatte Tom gekauft, halb in der Absicht, eine Art Verwalter aus ihm zu machen, dem er seine Geschäfte für die kurze Zeit seiner Abwesenheit anvertrauen könnte. Die erste, zweite und dritte Vorbedingung für diese Stellung bestand aber seiner Ansicht nach in Härte. Also beschloß Legree, da Tom den Arbeitern gegenüber keine Härte zeigte, ihn zunächst selbst abzuhärten. Nachdem Tom einige Wochen da war, sollte damit der Anfang gemacht werden.
    Eines Morgens, als die Arbeiter zur Feldarbeit abgefertigt waren, sah Tom mit Befremden einen Neuling unter ihnen, dessen Äußeres seine Aufmerksamkeit erregte. Es war eine Frau, groß und schlank gebaut, mit auffallend rassigen Händen und Füßen, sauber und anständig gekleidet. Nach ihrem Gesicht zu urteilen, konnte sie zwischen fünfunddreißig und vierzig sein; aber es war ein Gesicht, das man nicht wieder vergaß – eines von denen, die auf den ersten Blick in uns die Vorstellung einer wilden, schmerzlichen und romantischen Geschichte erregen. Ihre Stirn war hoch, und die Augenbrauen waren klar und schön gezeichnet. Ihre gutgeformte Nase, ihr feingeschnittener Mund und die anmutigen Umrisse ihres Kopfes und Nackens verrieten, daß sie einmal sehr schön gewesen sein mußte; aber ihr Gesicht hatte scharfe Linien des Schmerzes, des stolzen, bitteren Leidens gezeichnet. Ihre Hautfarbe war bleich und ungesund, ihre Wangen schmal, ihre Züge scharf, ihre ganze Gestalt abgemagert.
    In ihren Augen nachtete eine tiefe Angst – eine unbewegliche Hoffnungslosigkeit, die in erschreckendem Gegensatz zu dem unbeugsamen Stolz stand, den ihr ganzes Benehmen ausdrückte.
    Woher sie kam, wer sie war, wußte Tom nicht. Er wußte nur, daß sie aufrecht und stolz im Morgengrauen neben ihm ausschritt. Der Kolonne war sie jedoch bekannt, viele Köpfe drehten sich nach ihr um, und eine unterdrückte, aber deutliche Genugtuung sprach aus den elenden Gesichtern der halbverhungerten Gestalten, die sie umdrängten.
    »Mußte sich also doch herbequemen!« sagte jemand.
    »Hi, hi, hi!« lachte jemand anderer, »da wird sie merken, wie es ist.«
    »Da muß sie auch mal arbeiten!«
    »Möchte nur wissen, ob ihr Teil heute abend auch gewogen wird!«
    »Ich wär froh, wenn sie dann auch mal Hiebe kriegte«, sagte ein anderer.
    Die Frau achtete nicht auf diese Sticheleien, sondern tat, als hörte sie nicht, und schritt weiter. Tom hatte immer unter gebildeten und kultivierten Menschen gelebt und erkannte aus ihrer Haltung, daß sie zu dieser Klasse gehörte; aber wie und warum sie in diese Verhältnisse geraten, konnte er nicht sagen. Die Frau sprach kein Wort, blickte ihn auch nicht an, sondern hielt sich nur dicht an seiner Seite.
    Tom war bald mitten in der Arbeit, aber da die Frau nicht weit entfernt war, warf er zuweilen einen Blick auf ihre Arbeit. Er sah sofort, daß ihre angeborene Geschicklichkeit und Genauigkeit ihr die Aufgabe sehr erleichterten. Sie pflückte flink und sauber mit zorniger Miene, als ob sie die Arbeit und die Schande, die sie in diese Umstände gebracht, gleichermaßen verachtete.
    Im Laufe des Tages geriet Tom in die Nähe der Mulattin, die mit ihm zusammen im selben Schub gekauft worden war. Sie litt anscheinend

Weitere Kostenlose Bücher