Onkel Toms Hütte
hinaufzurollen.«
Steif und wund brauchte Tom lange Zeit, bis es ihm gelang, aber dann fühlte er eine große Erleichterung, als seine Wunden die gekühlten Tücher berührten.
Die Frau, die sich bei den Opfern der Brutalität große Übung erworben hatte und sich auf manche Heilkunst verstand, verschaffte ihm jede mögliche Linderung.
»Und das«, sagte sie, als sie ihm einen Ballen beschädigte Baumwolle als Kissen unterschob, »wäre nun alles, was ich für dich tun kann.«
Tom dankte ihr; die Frau setzte sich auf den Boden, zog die Knie an, umschlang sie mit den Armen und blickte starr vor sich hin, das Gesicht bitter und schmerzlich verzogen. Ihr Kopftuch fiel zurück, und lange, gewellte Haarsträhnen umrahmten ihre melancholischen Züge.
»Es hat alles keinen Zweck, du armer Kerl«, stieß sie endlich hervor, »es hat keinen Zweck, daß du es versuchst. Du bist ein tapferer Kerl, das Recht ist auf deiner Seite. Aber es ist vergeblich. Du kämpfst umsonst. Du bist dem Teufel in die Hände gefallen, er ist der Stärkere, da mußt du nachgeben.«
Nachgeben! Hatten nicht menschliche Schwäche und seelische Angst ihm das auch schon zugeflüstert? Tom fuhr auf, denn die vergrämte Frau mit den wilden Augen und der Grabesstimme erschien ihm als die reine Verkörperung der Versuchung, mit welcher er gerungen hatte.
»Herrgott! Herrgott!« stöhnte er laut, »wie könnte ich nachgeben?«
»Du brauchst Gott nicht anzurufen – er hört dich nicht«, sagte die Frau ungerührt. »Ich glaube, es gibt keinen Gott oder, wenn es ihn gibt, dann hat er gegen uns Partei ergriffen. Alles ist gegen uns, Himmel und Erde. Alles stößt uns in die Hölle. Warum gehen wir nicht von selbst?«
Tom schloß die Augen, ihm schauderte bei den finsteren, gottlosen Worten.
»Siehst du«, fuhr sie fort, »du weißt ja nicht, wie es hier ist, aber ich weiß es. Ich habe jetzt fünf Jahre in diesem Haus mit Leib und Seele unter der Fuchtel dieses Mannes gestanden; ich hasse ihn wie den Leibhaftigen. Hier, auf der einsamen Plantage, zehn Meilen von jeder menschlichen Behausung entfernt, mitten in den Sümpfen, da lebst du. Hier gibt es kein Gesetz, weder ein göttliches noch ein menschliches, das dir oder einem von uns Schutz gewährt. Und dazu dieser Mensch; es gibt nichts, dessen er nicht fähig wäre! Bin ich nicht von guter Herkunft? Und er – Gott im Himmel! Was war er, und was ist er? Jetzt hat er ein junges Ding um sich, erst fünfzehn Jahre; sie sagt, sie habe eine fromme Erziehung genossen. Bei einer guten Herrin hat sie das Bibellesen gelernt und hier in diese Hölle hat sie ihre Bibel mitgebracht!« Die Frau lachte ein wildes, schauriges Lachen, das seltsam und unwirklich durch die alte Kammer tönte.
Tom faltete die Hände; ringsum war Dunkelheit und Schrecken.
»O Jesus! Lieber Heiland! Hast du uns Arme ganz vergessen?« brach es schließlich von seinen Lippen. »Hilf mir, Herr, ich verderbe!«
Aber die Frau fuhr unwillig fort:
»Und wer sind diese elenden, erbärmlichen Hunde, die mit dir arbeiten, daß du ihretwegen leiden willst? Jeder von ihnen würde dich verraten, wenn es darauf ankäme. Sie sind alle niederträchtig und grausam zueinander; dein Leiden rettet sie nicht, da ist alles umsonst!«
»Arme Menschen!« sagte Tom, »wodurch sind sie grausam geworden? Wenn ich jetzt nachgebe, gewöhne ich mich dran und werde langsam genauso. Nein, nein, Frau! Ich habe alles verloren – Weib und Kinder, die Heimat und meinen guten Herrn –, er hätte mich freigelassen, hätte er nur eine Woche länger gelebt. Ich habe alles in dieser Welt verloren – es ist alles hinfällig geworden – ich kann nicht den Himmel auch noch verlieren; nein, schlecht darf ich nicht auch noch werden!«
»Aber die Sünde kann uns Gott nicht auch noch zur Last legen«, sagte die Frau; »uns kann er nicht anklagen, wenn wir gezwungen werden; er muß die verurteilen, die uns zwingen.«
»Ja«, antwortete Tom; »aber das bewahrt uns nicht vor der Schlechtigkeit. Wenn ich so hartherzig werde wie dieser Sambo und ebenso schlecht, dann macht es keinen Unterschied, warum ich so wurde; es ist das Schlechtsein – davor fürchte ich mich.«
Die Frau blickte Tom wild und erschrocken an, als ob ihr ein neuer Gedanke gekommen sei, und dann sagte sie aufstöhnend: »O Gott, erbarm dich! Du sprichst die Wahrheit!«
Eine Weile herrschte Schweigen, man hörte nur beider Atemzüge, bis Tom mit schwacher Stimme sprach: »Ach, bitte, Frau!«
Die Frau
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