Onkel Toms Hütte
»Aber wir wollen überlegen, wie wir Euch helfen können. Komm, Dinah, richte ihr ein Bett in deinem Zimmer neben der Küche, und dann wollen wir sehen, was sich morgen früh tun läßt. So lange braucht Ihr keine Angst zuhaben, arme Frau. Vertraut auf Gott. Er wird Euch beschützen.«
Mrs. Bird kehrte mit ihrem Mann ins Wohnzimmer zurück. Sie setzte sich in ihren kleinen Schaukelstuhl und wippte nachdenklich auf und nieder. Mr. Bird schritt gedankenvoll im Zimmer auf und ab und sprach brummend vor sich hin: »Vertrackte Geschichte, Teufel nochmal.« Schließlich blieb er vor seiner Frau stehen und sprach:
»Hör mal, Mary, sie muß fort von hier, noch heute nacht. Der Kerl wird morgen früh todsicher auf ihrer Spur sein. Wäre es nur die Frau, die ist ja leise, die könnte man verborgen halten. Aber der kleine Bengel, das wette ich, läßt sich nicht von einem Regiment Soldaten in Schach halten. Der steckt doch irgendwann den Kopf zur Tür oder zum Fenster raus. Und dann haben wir den Salat, wenn sie die beiden gerade jetzt bei uns finden. Nein, wir müssen sie noch heute nacht fortbringen.«
»Noch heute nacht? Aber wie denn? Wohin?«
»Nun, das wüßte ich schon«, sagte der Senator, langsam und nachdenklich seine Stiefel wieder anziehend. Als er den einen halb zugeschnürt hatte, hielt er inne, umschlang seine Knie mit beiden Händen und versank in tiefes Grübeln.
»Es ist eine höchst peinliche, fatale Geschichte«, sagte er schließlich, seine Schuhbänder weiter einziehend, »soviel steht fest.« Als er endlich mit einem Stiefel fertig war, behielt er noch den andern gedankenverloren in der Hand und betrachtete aufmerksam die Figuren des Teppichs. »Ich muß es aber tun – da gibt es keinen Ausweg, hol's der Henker!« Und er zog rasch den zweiten an und blickte zum Fenster hinaus.
Nun war die kleine Mrs. Bird eine sehr zartfühlende Frau. Nie im Leben hätte sie gesagt: »Ich habe es ja gleich gesagt!« Und bei dieser Gelegenheit, wenn sie auch unschwer erraten konnte, welche Bahn die Gedanken ihres Mannes nahmen, hütete sie sich gar wohl, sich einzumischen, sondern saß statt dessen still in ihrem Stuhl, bereit, ihres Gebieters Ansichten zu hören, sollte er die Güte haben, sie ihr mitzuteilen.
»Weißt du«, sagte er, »ich denke an meinen alten Kunden van Trompe, der von Kentucky herüberkam, nachdem er alle seine Sklaven freiließ und sich sieben Meilen entfernt von hier am Creek eine Farm kaufte. Sie liegt mitten im Walde, wo niemand vorbeikommt und ist nicht leicht zu finden. Da würde sie gut aufgehoben sein. Das Dumme ist nur, daß nur ich dorthin fahren kann.«
»Aber warum? Cudjoe ist doch ein zuverlässiger Kutscher.«
»Das schon, aber die Sache ist die: man muß zweimal über den Creek, und die zweite Furt ist ziemlich gefährlich, es sei denn, man kennt sie so gut wie ich. Ich habe sie hundertmal zu Pferd durchquert und kenne jeden Stein. Es hilft also nichts. Cudjoe soll um Mitternacht so leise wie möglich anspannen. Dann will ich sie hinüberfahren, und er kann mich dann weiterfahren zur nächsten Poststation, wo ich zwischen drei und vier Uhr in die Postkutsche nach Columbus steigen kann, damit wir die Sache bemänteln und es den Anschein hat, als hätte ich nur deshalb anspannen lassen. Da bin ich also frühmorgens bereits wieder im Amt. Ich werde mir ja etwas komisch vorkommen, nach allem, was getan und gesprochen wurde, aber zum Kuk-kuck, ich kann nicht anders.«
»Dein Herz ist wieder besser als dein Kopf, John«, sagte seine Frau und legte ihre weiße kleine Hand auf die seine. »Wie hätte ich dich jemals liebgewonnen, wenn ich dich nicht besser kennte als du dich selber?« Die kleine Frau sah so reizend aus mit den tränenglänzenden Augen, daß der Senator ernstlich dachte, er müsse doch ein unbändig gescheiter Bursche sein, daß eine solch hübsche Frau eine so leidenschaftliche Bewunderung für ihn hegte. So konnte er gar nicht anders, als wortlos hinauszugehen und nach dem Wagen zu sehen. An der Tür jedoch hielt er inne, kam zurück und sagte zögernd:
»Mary, ich weiß nicht, wie du darüber denkst, aber in der Schublade sind doch alle die Sachen von unserem kleinen Henry«, dann drehte er sich eilig auf dem Absatz um und schloß die Tür hinter sich.
Seine Frau öffnete die kleine Schlafzimmertür neben ihrem Zimmer, ergriff die Kerze und setzte sie dort auf eine Kommode. Dann holte sie einen Schlüssel hervor und steckte ihn gedankenvoll in das Schloß einer
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