Onkel Toms Hütte
daß ich froh war über die Knochen, die man den Hunden zuwarf. Und dennoch, als ich noch klein war und ganze Nächte wach lag, und weinte, geschah es nicht wegen des Hungers und wegen der Schläge. Nein, ich weinte nach meiner Mutter und nach meiner Schwester, ich weinte, weil ich auf der weiten Welt nicht einen Freund hatte; auch Frieden und Behagen kannte ich nicht. Ich hatte nie ein freundliches Wort gehört, bis ich zu Ihnen in die Fabrik kam, Mr. Wilson, Ihr habt mich gut behandelt. Ihr habt mich ermutigt, Lesen und Schreiben zu lernen und was aus mir zu machen. Gott allein weiß, wie dankbar ich Euch bin. Und dann traf ich mein Weib – Ihr wißt, wie schön sie ist. Als ich merkte, sie liebte mich, als ich sie heiratete, konnte ich kaum glauben, daß ich lebte, so glücklich war ich; dabei ist sie ebenso gut wie schön. Und was dann? Dann kommt mein Herr, reißt mich weg von meiner Arbeit, meinen Freunden, von allem, was mir teuer ist und stößt mich in den Schmutz. Und warum? Weil ich, wie er sagte, vergaß, was ich bin; er sagt, um mich zu lehren, daß ich nur ein Nigger bin. Schließlich stellt er sich zwischen mich und mein Weib und verlangt, ich solle sie aufgeben und eine andere nehmen. Zu alldem aber ermächtigt ihn Euer Gesetz, trotz Menschen- und Gottesrecht. Mr. Wilson, begreifen Sie doch! Was meiner Mutter und meiner Schwester und meinem Weibe und mir das Herz gebrochen hat, alle diese Ereignisse. Eure Gesetze gestatten sie und geben jedermann in Kentucky das Recht dazu, und keiner kann ihn hindern. Nennt Ihr das die Gesetze meines Landes? Mr. Wilson, ich habe kein Vaterland, ich habe auch keinen Vater. Aber ich werde mir eines verschaffen. Ich verlange nichts von Eurem Land als meine Ruhe, daß man mich in Frieden ziehen läßt; und wenn ich nach Kanada komme, wo die Gesetze mich anerkennen und beschützen, dann soll das mein Vaterland werden, und seinen Gesetzen will ich Untertan sein. Aber wenn einer mich hindern will, soll er sich hüten, denn ich bin ein Verzweifelter. Ich werde um meine Freiheit kämpfen bis zum letzten Atemzug. Ihr sagt ja, Eure Väter taten das damals auch; was ihnen recht war, soll auch mir recht sein!«
Diese Rede, die Georg, teils am Tische sitzend und teils im Zimmer auf und ab gehend, begleitet von Tränen, von sprühenden Blicken und Gebärden der Verzweiflung gehalten hatte, überwältigte den gutherzigen alten Mann, an den sie gerichtet war, derartig, daß er sein großes gelbseidenes Taschentuch hervorzog und sich energisch die Augen rieb.
»Der Teufel hole sie«, brach er plötzlich los. »Habe ich es nicht immer gesagt, diese elenden Schweinehunde! Hoffentlich gilt das nicht als Fluchen! Also, zieh weiter, Georg, zieh weiter. Aber sei vorsichtig, mein Junge. Nicht schießen! Es sei denn – ach, besser nicht schießen. Wenigstens niemand treffen, weißt du. Wo ist eigentlich dein Weib, Georg?« fügte er hinzu, als er aufstand und im Zimmer auf und ab ging.
»Verschwunden, Mr. Wilson, auf und davon mit dem Kind auf dem Arm, nach Norden. Der Himmel weiß, wohin. Wann wir uns wiedersehen, und ob wir uns wiedersehen, das vermag kein Mensch zu sagen.«
»Ist es möglich? Wie erstaunlich! Bei solch einer gütigen Familie!«
»Gütige Familien geraten in Schulden, und die Gesetze unseres Landes gestatten ihnen, der Mutter das Kind zu entreißen, um dem Herrn die Schulden zu decken«, sagte Georg bitter.
»So, so«, antwortete der ehrliche alte Mann und wühlte in seiner Tasche. »Vermutlich sollte ich meiner besseren Einsicht folgen – zum Teufel, ich mag ihr nicht folgen«, setzte er plötzlich hinzu. »Also hier, Georg«, und seiner Brieftasche ein Bündel Banknoten entnehmend, bot er sie Georg an.
»Nein, gnädiger Herr«, erwiderte Georg. »Ihr habt viel für mich getan. Ich möchte Euch nicht ins Unglück stürzen. Ich hoffe, ich habe Geld genug. Das wird mich ans Ziel bringen.«
»Nein, Georg, du mußt. Geld hilft dir überall. Man kann nie zuviel davon haben – solange man es auf ehrliche Weise erlangt. Nimm es, bitte, nimm es, steck es ein, mein Junge.«
»Nur unter der Bedingung, daß ich es später einmal zurückzahlen kann«, sagte Georg und nahm das Geld an.
»Und nun, Georg, wie lange willst du reisen in dieser Gestalt? Es ist ja schlau gemacht, aber zu kühn. Und dieser Schwarze, wer ist denn das?«
»Ein treuer Bursche, der vor mehr als einem Jahr schon nach Kanada ging. Nachdem er dort war, erfuhr er, daß sein Herr so ergrimmt war über
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