Onkel Toms Hütte
wahre Sklaven sind.«
»Oh, gewiß wird sie das feststellen und zweifellos noch manche andere treffende Wahrheit obendrein«, antwortete St. Clare.
»Da reden sie, daß wir Sklaven halten, als täten wir das zu unserer eigenen Bequemlichkeit«, sagte Marie. »Wenn es danach ginge, könnten wir sie alle sofort freilassen.«
Evangeline heftete ihre großen, ernsten Augen mit einem forschenden und erstaunten Ausdruck auf das Gesicht der Mutter und fragte kindlich: »Warum hältst du sie denn, Mama?«
»Das weiß ich auch nicht, wahrscheinlich zur eigenen Plage; sie sind die Plage meines Lebens. Wahrscheinlich geht mein ganzes Leiden nur auf sie zurück. Und unsere Leute sind die schlimmsten, mit denen man gestraft sein kann.«
»Oh, nicht doch, Marie, du bist verstimmt heute morgen«, sagte St. Clare. »Du weißt, das trifft nicht zu. Nimm zum Beispiel Mammy, die beste Seele der Welt – was wolltest du ohne sie anfangen?«
»Mammy ist bestimmt die beste, und doch auch Mammy ist selbstsüchtig – entsetzlich selbstsüchtig; das ist ein Fehler der ganzen Rasse.«
»Selbstsucht ist ein schrecklicher Fehler«, sagte St. Clare ernsthaft.
»Bleiben wir bei Mammy«, sagte Marie, »es ist doch selbstsüchtig von ihr, so fest des Nachts zu schlafen; sie weiß doch, daß ich ihrer Dienste beinahe stündlich bedarf, wenn es mir sehr schlimm geht. Sie ist aber kaum wachzukriegen. Heute morgen geht es mir deshalb so schlecht, weil ich solche Mühe hatte, sie in der Nacht wachzurütteln.«
»Hat sie nicht kürzlich mehrere Nächte bei dir gewacht, Mama?« frage Eva.
»Woher willst du das wissen?« fragte Marie scharf. »Wahrscheinlich hat sie sich beklagt.«
»Sie hat sich nicht beklagt; sie hat mir nur erzählt, was du für unruhige Nächte hattest.«
»Warum läßt du nicht Jane oder Rosa einmal an ihre Stelle treten«, sagte St. Clare, »damit sie sich ausruhen kann?«
»Wie kannst du mir das zumuten? St. Clare, du bist wirklich zu rücksichtslos. Ich bin so nervös, der kleinste Atemzug stört mich; und eine fremde Hand in meiner Nähe würde mich unbedingt rasend machen. Wenn Mammy das richtige Interesse an mir hätte, würde sie leichter aufwachen – ganz bestimmt. Ich habe mir von anderen Leuten sagen lassen, welches Glück sie mit ihren Dienstboten haben; das war mir nie beschert«, und Marie seufzte.
Miß Ophelia hatte sich diese Unterhaltung mit einem Ausdruck angespannter und kluger Aufmerksamkeit angehört; ihre Lippen waren fest zusammengepreßt, als sei sie entschlossen, ihre Stellung erst genau kennenzulernen, ehe sie sich einmischte.
»Gewiß hat Mammy auch ihre guten Seiten«, fuhr Marie fort. »Sie ist leise und respektvoll, aber in ihrem Herzen ist sie selbstsüchtig. So wird sie doch nie aufhören, sich über ihren Mann zu sorgen und zu grämen. Verstehen Sie, als ich heiratete und hierherzog, mußte sie mich natürlich begleiten, und ihren Mann konnte mein Vater nicht entbehren. Er war ein Schmied und wurde natürlich gebraucht, und ich sagte damals gleich, es sei das beste, er und Mammy würden sich für immer trennen, denn es würde sich kaum wieder fügen, daß sie noch einmal zusammenkämen. Jetzt wünschte ich, ich hätte damals darauf bestanden und Mammy an jemand anders verheiratet, aber damals war ich noch töricht und nachgiebig und wollte sie nicht drängen. Ich habe ihr freilich gleich gesagt, sie könnte nicht erwarten, ihren Mann noch öfter als ein-, zweimal im Leben wiederzusehen, denn die Luft in meiner Heimat bekommt mir nicht, und ich kann dort nicht wieder hin, daher riet ich ihr sehr, sich nach jemand anderm umzusehen, aber sie wollte nicht. In gewissen Dingen ist Mammy eben halsstarrig, das weiß keiner so wie ich.«
»Hat sie Kinder?« fragte Miß Ophelia.
»Ja, zwei.«
»Wahrscheinlich leidet sie unter der Trennung?«
»Ich konnte sie natürlich nicht mitbringen. Kleine, schmutzige Bälge – die könnte ich nicht um mich haben. Außerdem belegten sie ihre Mutter zu sehr mit Beschlag. Aber ich habe den Eindruck, Mammy hegt seitdem einen geheimen Groll. Sie will niemand anders heiraten, und ich bin überzeugt, obgleich sie weiß, wie unentbehrlich sie mir bei meiner schwachen Gesundheit ist, wenn sie nur könnte, ginge sie heute noch zu ihrem Mann zurück. Ja, so selbstsüchtig sind sie, selbst die Besten von ihnen.«
»Schrecklich, wenn man es überlegt«, sagte St. Clare trocken. Miß Ophelia blickte ihn gespannt an und sah, wie ihm die Röte des Ärgers und
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