Online Wartet Der Tod
mal achten«, sagte sie und nahm sich das ernsthaft vor. »Den Computer sollten wir mitnehmen, damit wir uns die Dateien in Ruhe ansehen können.«
Zügig durchsuchte Ellie den Nachttisch, den Schreibtisch und die zur Wäschekommode umfunktionierten Küchenschränke. Sie prüfte den Drucker auf dem Schreibtisch und ging ins Bad. Für zwei Leute war der Raum zu klein.
»Könnte ich die E-Mails noch mal sehen? Die von Brad und Amy?«
McIlroy gab ihr den Zettel.
»War der Originalausdruck auch schwarz-weiß oder in Farbe?«
»Farbe.«
»Ganz sicher?«
»Müsste Donald Trump mal zum Friseur? Ja, ich bin sicher.«
Ellie klappte die Abdeckung des Druckers hoch, nahm alle vier Farbpatronen heraus und vergewisserte sich, dass drei von ihnen knochentrocken waren.
»Hier sind die E-Mails, die Amy in der Manteltasche hatte, nicht ausgedruckt worden«, sagte sie. »Das ist ein Tintenstrahl-Farbdrucker, aber ohne farbige Tinte. Und mit nur einer schwarzen Patrone ist es de facto ein Schwarz-Weiß-Drucker.«
McIlroy sah sich das Blatt noch einmal an. Bei jeder Nachricht waren Datum und Uhrzeit angegeben. »In der letzten Mail hat sie geschrieben, sie sei schon von der Arbeit zurück.«
»Das ist mir auch aufgefallen. Aber diese letzte Mail ist nicht hier ausgedruckt worden.« Sie hielt ein Blatt hoch, das im Drucker liegen geblieben war. Es war ein Zahlungsbeleg für ein Paar Schuhe, das Amy, einen Tag bevor sie ermordet worden war, übers Internet bestellt hatte. »Sehen Sie? Keine Farbe.«
»Meinen Sie, sie hat gelogen? Vielleicht war sie in der Wohnung eines Freundes?«
»Das glaube ich nicht. Auf dem Nachttisch steht ein Glas Wasser, und daneben liegt ein aufgeschlagenes Buch. Im Bad kullern Haarspangen und Schminkzeug herum. Nein. Sie hat ganz sicher zu Hause geschlafen, und auf einen Mann deutet hier nichts hin. Der Ausdruck stammt nicht von hier, weil sie ihn nicht gemacht hat. Überlegen Sie mal: Warum hätte sie das drucken sollen? Sie wusste genau, wo diese Bar ist – sie hat doch selbst geschrieben, dass sie dort sehr gern hingeht.«
McIlroy war begeistert. »Wer könnte eine dreißigjährige Frau besser verstehen als eine dreißigjährige Frau? Okay, und jetzt sagen Sie mir, was es Ihrer Meinung nach bedeutet, dass Amy Davis nicht diejenige war, die diese Mails ausgedruckt hat.«
»Es kann bedeuten, dass es dafür eine ganz harmlose Erklärung gibt.«
»Oder?« Offensichtlich wollte er, dass sie es aussprach.
»Oder jemand anders hat das ausgedruckt und ihr in die Tasche gesteckt, um die Polizei auf die Tatsache zu stoßen, dass Amy bei FirstDate war.«
»Und das heißt?«
»Dass uns jemand auf sich aufmerksam machen will.«
Und möglicherweise hieß es, dass Flann McIl-Mulders verrücktes Gefühl weitaus mehr war als ein Gefühl.
5
Anonymität. Die Verheißungen einer verschleierten Identität. Anonymität ist verlockend. Anonymität ist wie ein Schild, und ein Schild gewährt Sicherheit. Ellie Hatcher und Flann McIlroy aber begriffen allmählich, dass ein Schild auch als Schwert gebraucht werden kann.
FirstDate hatte mit Partnervermittlungen alten Stils nichts zu tun. Es wurde nichts überprüft, es fanden keine Befragungen zu Interessen und Wertvorstellungen statt. Die Firma gab vor, über ihre einzelnen Mitglieder nichts zu wissen, schon gar nicht, wer zu wem passen könnte. Genau genommen war es sogar gerade diese Weigerung von FirstDate, vermeintlich geeignete Partner zu empfehlen, die die einsamen Herzen anzog – zumindest jene, die gegenseitige Anziehung und Liebe für viel zu irrational und unvorhersehbar hielten, als dass ein Computer sie nüchtern hätte errechnen können.
FirstDate überließ die Jagd auf die ersehnten Objekte den Jägern, stellte aber einen glücklichen Ausgang der Jagd als wahrscheinlich hin. Und zwar, indem ein virtueller Fleischmarkt ohne geografische oder zeitliche Begrenzungen angeboten wurde. Bei FirstDate konnte man am Schreibtisch seiner nächsten Liebe begegnen, ohne die Verwicklungen (oder möglichen Rechtsstreitigkeiten) zu riskieren, die eine Beziehung mit einem Kollegen oder einer Kollegin mit sich gebracht hätte. Mit FirstDate war es möglich, samstags morgens jemanden kennenzulernen, während man im Schlafanzug bei laufendem Fernseher im Netz surfte.
Was die Kunden aber am meisten zu FirstDate hinzog, war die Anonymität, die der Cyberspace bot. FirstDate-Nutzer legten sich ein Pseudonym zu. Keine Adresse, keine Telefonnummer. Nicht einmal
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