Online Wartet Der Tod
geschickt platzierte Schatten einen Rest von Geheimnis aufrechterhielten. Das dunkle Haar war vom Wind zerzaust, sie trug eine Sonnenbrille. Und sie lächelte, offenbar glücklich dort, wo das Foto aufgenommen worden war.
In dem Kasten neben ihrem Bild und oberhalb eines längeren Textes, den Amy über sich selbst verfasst hatte, machte MoMAgirl Angaben zu ihrer Größe (1,62 m), ihrer Haar- und Augenfarbe (Braun beziehungsweise Blau), ihrem Körperbau (sportlich), ihrer ethnischen Zugehörigkeit (weiß) und ihrem Alter (29).
»Ich hab’s«, sagte Ellie und klickte zurück zu der Seite, auf der sie an das Passwort kommen konnte. »Amy war nicht neunundzwanzig, aber bei FirstDate wollte sie es sein.«
Noch einmal tippte sie die erforderlichen Angaben ein, wobei sie Amys Geburtsdatum um zwei Jahre später ansetzte. Nachdem sie Enter gedrückt hatte, erhielt sie die Mitteilung, dass das fragliche FirstDate-Passwort an die E-Mail-Adresse des Mitglieds geschickt worden sei.
»Rufen Sie bitte mal im MoMA an? Finden Sie raus, wie die Angestellten ihre E-Mails von zu Hause aus abrufen. Und beschaffen Sie uns ihre Log-in-Daten.«
Wenige Minuten später hatte McIlroy alles zusammen, was sie brauchten, um an Amys Büro-Mails heranzukommen. Ellie loggte sich ein und fand zweiundachtzig neue Nachrichten vor. Die jüngste stammte von FirstDate und erinnerte Amy daran, dass ihr Passwort für das Profil MoMAgirl »Colby« lautete.
»Wahnsinn«, sagte Flann und rieb sich die Hände.
Endlich waren sie da, wo sie hinmussten: in Amy Davis’ FirstDate-Account. Nun würden sie herausfinden, wer alles versucht hatte, Amy Davis kennenzulernen. Anonym. Sicher. Privat.
Lächelnd nippte der Mann, der Amy Davis erdrosselt hatte, in einem Internetcafé in Midtown Manhattan an seinem Kaffee. Er lächelte, weil ihm gefiel, was er auf dem Bildschirm seines Laptops sah.
Er hatte das Profil von MoMAgirl im Auge behalten. Bis Samstagabend hatte über dem hübschen Bild von ihr immer gestanden: »Aktiv in den letzten 24 Stunden«. Dann war daraus geworden: »Aktiv in den letzten 48 Stunden«.
Nur Geduld, sagte er sich, noch der dümmste Polizist wird irgendwann drauf kommen. Deshalb hatte er Amy ja den plumpen Hinweis in die Tasche gesteckt. Ihre Mails würden die Polizei auf direktem Weg zu diesem hirnlosen Angeber führen, mit dem sie an jenem Abend im »Angel’s Share« gewesen war. Der Typ war zweifellos von begrenzter Intelligenz. Dennoch würde er die Polizisten früher oder später von seiner Unschuld überzeugen können, und sie würden anfangen, nach einem anderen Verdächtigen zu suchen.
Und jetzt bekam er offenbar, worauf er gewartet hatte: Ein neuer Text erschien über dem Bild von MoMAgirl. »Online«, verkündete der Bildschirm.
Er ertappte sich bei einem Lächeln, bremste sich aber sofort. Wenn er lächelte, zog er Aufmerksamkeit auf sich. Er wollte keine Aufmerksamkeit. Jedenfalls noch nicht.
Noch einmal las er: »Online«. Ein Kribbeln der Spannung. Jedenfalls war da nicht Amy Davis als MoMAgirl online. Dafür hatte er Freitag Nacht in der dunklen Gasse gesorgt. Anders, als er erwartet hatte, war es zu einem richtigen Kampf gekommen, aber er hatte sie überwältigt. Und jetzt hatte sich jemand in ihren FirstDate-Account eingeloggt. Die Polizei hatte die Verbindung hergestellt. Das Spiel begann.
Es wunderte ihn, dass er nicht das leiseste Schuldgefühl verspürte. Er hatte mit Gewissensbissen gerechnet – aber da war nichts. Vielmehr empfand er es als einen köstlichen karmischen Ausgleich, dass er Amy getötet hatte. Etwa fünf Jahre zuvor hatte er einer spontanen Eingebung folgend den Namen gegoogelt, neugierig, was aus Amy Davis geworden war. Und siehe da, sie lebte in New York, wohin auch er eben erst gezogen war. Danach hatte er ein paar Jahre überhaupt nicht an sie gedacht, aber als der Augenblick gekommen war, fand er sie. Immer noch in New York. Immer noch beim Museum angestellt. Immer noch einsam, Single, in derselben Wohnung wie eh und je. Es war, als habe das Schicksal sie eigens für ihn bereitgehalten, damit sie ihm zur rechten Zeit zur Verfügung stand.
Er dachte eine Weile nach und kam zu dem Schluss, dass er sich über den Mangel an Reue nicht zu wundern brauchte. Durchschnittsmenschen machten sich nichts daraus, ob ein anderer lebte oder starb, aber weil sie meinten, dass es von ihnen erwartet wurde, redeten sie sich ein, dass es ihnen etwas ausmachte. Er dagegen wusste, dass es so etwas wie
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