Op Oloop
Rückspiegel die merkwürdigen Gebärden des Passagiers wahrgenommen. Er drehte den Hals und fragte ein wenig übellaunig: »Wie lange soll ich noch im Kreis fahren?«
»Fahren Sie weiter im Kreis!«
Er trat das Gaspedal durch.
In Wahrheit war die Unterbrechung ein Linderungsmittel; denn während er die Frage verinnerlichte, drang die Avenida de Mayo mit all ihrem Glanz in seinen Geist, in Übereinstimmung mit dem gewöhnlichen Erscheinungsbild dieser Verkehrsader. Dieser Wiedergewinn des Bildes von einem, der seine Aufmerksamkeit in viele Facetten hatte abgleiten lassen, bedeutete die Rückkehr zur Normalität, einen ritorno al'antico. Er wußte das zu schätzen und atmete mehrmals begierig das Glücksgefühl ein, sich wieder gefangen zu haben.
Doch im Geist gibt es Avenidas, Straßen, Gassen … Wundervolle Viertel mit opulenten Geschäften. Finstere und schmutzige Sektoren. Düstere und tragische Gegenden. Genauso wie draußen! Neben den Einkaufsstraßen, strahlend vor Luxus und Wollust, verrufene Klitschen, wo das Übel sprießt und der Instinkt gärt. In der Nähe der illustren Kunstzentren, der Spielbank und der großen Welt, Elendshütten mißratener Berufungen, Willenlose, die im Armenviertel nächtigen, und niemals erschöpfte Kräfte, die sich im Unglück wälzen …
Op Oloop verließ den glatten Asphalt bald … Die Bilder, die für einen kurzen Moment durch seine Sinne geschlüpft waren und diese mit der Reinheit vormaliger Realität wuschen, begannen sich erneut zu verwickeln. Schon konnte er nichts mehr ausmachen als eine große verworrene Stille. Und in dieser großen verworrenen Stille gab es nichts anderes als ein hartnäckiges Summen, das sich entfernte und näherte; das hinter dem Kristall seiner Augen herumstrich und ihn zwang, sie zu schließen; das von außen um seine Ohrmuscheln herumstrich und ihn zwang, sie zu öffnen, wie um aus dem umgebenden Getöse ein großes erlösendes Geräusch zu gewinnen.
Das Summen setzte keinen Moment lang aus. Höchstens wurde die Empfindung in jeder Kurve zurückgeworfen und flatterte ein wenig herum; doch bedrängte sie ihn daraufhin erneut – ein Falke auf Beizjagd – und verfolgte sein Gehirn.
12:50
Seine Verwünschungen, Grimassen, Fratzen müssen zahlreich gewesen sein, denn um zwölf Uhr fünfzig konnte der Chauffeur seine Ungeduld nicht mehr zurückhalten und bremste scharf: »Sagen Sie mir, Señor: wie lange soll ich noch im Kreis herumfahren? Wir sind schon bei sechs achtzig!«
»Gut. Nehmen Sie.«
Beschwerlich kletterte er hinaus. Und während der Taxifahrer sich mühte, die zehn Pesos zu wechseln, ließ ein anderes entgegenkommendes Automobil Op Oloop brüllen: »Taxi, anhalten.«
Auf dem Weg zu diesem schwankte sein schwerer Leib wie ein Fels, der kurz vor dem Umstürzen ist. Kaum saß er, belästigte ihn eine Stimme: »Sie vergessen Ihr Wechselgeld, Señor.«
»Stecken Sie es sich in den Hintern!«
Es war eine spontane Antwort, diktiert von irgendeinem in seinem Unbewußten schlummernden obszönen Kobold. Obwohl die beiden Chauffeure wie versteinert dasaßen, verzog Op Oloop keine Miene. Es war etwas seinem Wesen derart diametral Entgegengesetztes, daß er sich, sollte er es gesagt haben, nicht hörte. Daher nahm seine Stimme auf die zaghafte Frage des neuen Fahrers »Wohin, Señor?« wieder den halb gequälten, halb feierlichen Tonfall dieses Morgens an: »Fahren Sie um den Platz herum.«
Abneigung, Zorn, Haß besaßen kein Bürgerrecht in seiner Seele. Doch sie strichen in ihm herum, wie sie in allen herumstreichen, Gefühle niedriger Herkunft. Die Kultivierung des moralischen Ichs isoliert oder erstickt sie; doch sie befinden sich immer auf dem Warteposten und brechen unversehens hervor, sobald die Spannung des Willens nachgibt oder der Geist im Delirium aus den Fugen gerät.
Die zeremonielle Förmlichkeit der self control war eine offensichtliche Tatsache in Op Oloop! Wer dafür gelebt hat, sich zu überprüfen, in Schranken zu halten, zu behandeln, landet fast ohne es zu wollen bei Modulen unfehlbaren Benehmens. Anstand. Feinheit. Redlichkeit. Die Worte, die Gesten, die Einstellungen resultieren dann aus der Arbeit von Jahren, und der Mensch wird fast dümmlich; denn wo der Respekt für die anderen anfängt, sündigt man aus Respekt vor sich selbst dadurch, daß man sich zu sehr respektiert.
Bedauerlich wird es, wenn das Bewußtsein die eigenen Fehler nicht wahrnimmt. Dann nehmen sich früher oder später andere dessen an,
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