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Op Oloop

Op Oloop

Titel: Op Oloop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juan Filloy
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die Lethargie der inneren Zensur festzustellen und damit den Mißstand der Persönlichkeit. Die Chauffeure hatten das sofort bemerkt. Und der, der ihn nun fuhr, ließ mit einem betrügerischen Handgriff den Taxameter gleich drei Ziffern in den Hunderterstellen weiterspringen … Sie waren, wenn überhaupt, drei Runden gefahren, und schon zeigte er vier Pesos zehn Centavos an …
    Der Statistiker achtete nicht darauf. Noch konnte er darauf achten. Sein Sehsinn war auf das Summen geheftet, da sein Gehör, das starr im Gekreische des städtischen Gewühls trieb, außer Kraft gesetzt war. Denn der Sehsinn hört im Zusammenschluß. Dieses Nervenleiden erweiterte sein Sehen um die Eigenschaften anderer Sinne. Und so verweilte er, perplex, als ob man ihm die im Gehirn zusammenfließenden Sinneslinien verbunden hätte, und er mit dem Sehsinn hörte und mit dem Geruchssinn tastete.
    Markierte das Summen die Flugbahn einer mentalen Nebelwolke? War es die Klangwelle eines Gedankens im Kampf darum, sein Gefängnis aus Nebel zu durchbrechen? Es ist schwer, die gewundene Beschaffenheit des auditiven Dunstes genauer anzugeben! Er befand sich in dem unstillbaren Rausch, in dem Rimbaud sein berühmtes »Vokale«-Sonett schrieb. Ein flüchtiger Rausch. Sein Antlitz belebte sich in einer plötzlichen Aufeinanderfolge von grimaces. Op Oloop erlitt Unsagbares. Auf der Leinwand seiner blassen Haut ließen sich die Schrecken eines Musterbuchs für fürchterliche Masken nieder und bissen ihn sardonisch. Seine Seele blieb verbeult von Falten und Verformungen zurück. Sein Mund mit Narben der Angst.
    Zwei weitere Runden.
    Die Geschwindigkeit erfrischte ihn. Und als sich seine Verformungen und Narben auflösten, paßte sich seinem Gesicht die Maske eines überwältigten Engels an, dessen Staunen sein Erscheinungsbild im Glanze eines tiefen Lächelns erstrahlen ließ.
    Aus heiterem Himmel spendete er sich selbst Beifall, klatschte mehrmals jubelnd in die Hände und schrie: »Fädeln Sie sich in die Avenida Callao ein. Schnell. Schnell!«
    Zweifelsohne war das Summen verschwunden, um sich in seinem Begriffsvermögen zu etwas Gehaltvollem zu kristallisieren. Idee? Wunsch? Gefühl? Hatten die vielen Runden und Aberrunden um die Plaza del Congreso, die dem plötzlichen Impuls zum Ausbruch vorausgingen, etwas vom mysteriösen Kreisen der Brieftauben zum Zweck der Orientierung? Oder gehorchten sie den rätselhaften Drehungen der Hunde, bevor sie sich schlafen legen? Der Instinkt scheint in Kreisringe eingeschlossen zu sein. Das Rundendrehen ist unumgänglich. Er kreist in sich selbst, und wenn er eine offene Stelle findet, schlüpft er hinaus, um seine Rolle zu erfüllen.
    Die Unvorsichtigkeit eines Obsthändlers beschleunigte seine Entscheidung. Als er unrechtmäßig hinter einem am Rande der Fahrbahn geparkten Lastwagen auftauchte, wurde er angefahren. Prellungen. Zwei umgestürzte Körbe.
    Die Obrigkeit griff ein: »Und Sie, Señor, haben Sie nichts gesehen?«
    »Nicht im geringsten. Ich habe an Franziska gedacht. An Franziska Hoerée.«
    Das naive Strahlen, das sein Gesicht erleuchtete, machte wohl keinen guten Eindruck auf den Polizeiinspektor. Der konnte nicht anders, als zu murmeln: »Das scheint mir gelogen! Solch ein Riesentrottel, der anscheinend nichts als Unsinn im Kopf hat …«
    Op Oloop war wirklich von allem abwesend. In einer köstlichen Verzückung, einer Mischung aus Träumerei und Entrückung, in der er hartnäckig verweilte.
    »Morgen müssen Sie auf die Bezirkswache kommen.«
    »Nicht im geringsten. Ich habe an Franziska gedacht. An Franziska Hoerée.«
    »Ich spreche nicht mit Ihnen, Señor!«
    Als der Chauffeur wieder losfuhr, war das Interesse des Inspektors mehr durch den Zustand des Passagiers geweckt als durch den Unfall selbst. Und aus einer bloßen Laune heraus folgte er dem Automobil auf seinem side-car.
    In seiner Polizistenlaufbahn hatte er eine bewundernswerte Wissenschaft gelernt: die Wissenschaft, die mit den Werken des Zufalls und den Vorzeichen unbedeutender Begebenheiten spekuliert. Das Vorgefühl, die Eingebung des Herzens, das instinktive Verfolgen einer Spur bescherten ihm immer größere Erfolge als der Vernunftschluß. Und während er über einen neuen Ärmelstreifen nachdachte, gefiel er sich in phantasievollen Überlegungen rund um das Schwangergehen mit einem Verbrechen. Denn das Verbrechen ist immer eine geistige Schwangerschaft, und das lauernde Auge des Fahnders hat die Pflicht, zu wissen, wann

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