Op Oloop
diese entbunden wird. Viele Detektive für »Persönliche Sicherheit« oder »Öffentliche Ordnung« sind wahrhafte Geburtshelfer und Experten für Abtreibungen. Warum sollte er ihnen nicht nacheifern? Er hatte etwas bemerkt. In gewissen Verbrechern ist der innere Druck so groß, daß er ihnen den Kopf aufbläht, die Augen anschwellen läßt, und sie schwitzen ihre Freude aus, bevor sie blutig in der Entbindung des Verbrechens niederkommen. Dieses Mal leitete ihn seine Spur fehl.
Op Oloop stieg genau vor einem Anwesen seines Zuständigkeitsbereiches aus, das für die Seriosität seines Eigentümers bekannt war: des Konsuls von Finnland. Halb enttäuscht machte der Inspektor eine Kehrtwendung. Minuten später, als er an der Unfallstelle vorbeikam, verhöhnten die zerquetschten Tomaten und Pflaumen seinen Blick mit ihrer harmlosen Darstellung eines Massakers.
Quintin Hoerée und Piet Van Saal – kleinwüchsig, dicklich, kurzgeschorenes Haar rund um die wie ein Sturmhelm glänzende Glatze der eine; eckiges Gesicht, stählerne Brust und die Selbstsicherheit eines Meisters im Speerwurf der andere – erhoben sich, als sie ihn den living-room betreten sahen. Op Oloop war wenig zuvorkommend. Er ersparte ihnen jenes lästige Manöver nicht, obwohl sie fast ganz in den Maples versunken waren. Brennende Scham, ein Gefühl dumpf brennender Scham beherrschte ihn.
»Entschuldigt. Entschuldigt! Es ist das erste Mal, daß ich zu spät zu einer Verabredung komme. Ihr wißt, daß ich ohne Rücksicht auf mich selbst methodisch bin. Daß die Methode für mich so etwas wie eine organische Funktion ist. Daß niemals irgend etwas mein System des Lebens durchbrochen hat. Doch heute!«
»Bah, bah. Mach dir keine Sorgen. Mein Schwager und meine Tochter sind noch nicht vom Golf zurück.«
»Wie auch immer. Ich verzeihe mir nicht. ›Der methodische Mensch, der Schmerz, Hunger und Traurigkeit katalogisiert hat, ohne den enervierenden Peitschenschlag der Leidenschaft zu spüren‹ – wie Ernest Lavisse sagen würde –, darf sich niemals zu ärgerlichen Brüchen in seinem Rhythmus hinreißen lassen. Ich, heute!«
»Genug der Lappalien. Setz dich. Ein French mit Gordon?«
»Das sind keine Lappalien. Der Mensch, der von seinen Fehlern überzeugt ist und sich keine Vorwürfe macht, ist ein Gescheiterter in spe. Morgen, wenn die Nachsicht zum System geworden ist, wird es zu spät sein: die Minderwertigkeit wird ihn mit seiner eigenen Erbärmlichkeit durchtränken. Ich möchte mein Zepter nicht abgeben. So sehr ich auch heute …«
Piet Van Saals schneidende Stimme griff gereizt ein: »Nun gut, Op Oloop, es reicht. Wir wissen bereits, daß die Methode in dir etwas Organisches ist, etwas, das mit außergewöhnlicher Kraft keimt und dich gelegentlich, wie jetzt gerade, zu den törichtsten Ungereimtheiten treibt. Trink deinen Aperitif, und damit basta. Wozu soviele Jeremiaden rund um deine Pünktlichkeit, wo die anderen es nicht sind? Sind vielleicht Franziska und der Konsul hier? Also …«
»Ich bitte euch inständig, mich freizusprechen. Heute stoßen mir unerwartete Zwischenfälle zu. Meine ganze Methode ist aus dem Lot geraten. Ein pathetischer Fall, rettungslos pathetisch. Diesseits meiner Seele, im fast physischen Gefühl des Fleisches, sehe ich ein aus dem Brennpunkt geratenes Ich, deformiert, unscharf. Der beständige, konkrete, nüchterne Mann, den es in mir gab, hat sich in Luft aufgelöst. Ich bin ein homme de flou. Ich weiß nicht, wie ich dieses Erlebnis ausmerzen soll. Ich hatte eine strukturierte Persönlichkeit, vor einem reflektierten Hintergrund. Nun sehe ich mich nicht mehr. Man hat mich gefangengenommen. Mein ganzes intellektuelles und moralisches Kunstwerk ist verschwunden. Nur das Skelett des Willens und das Baugerüst des Traumes bestehen fort. Ich befinde mich in einem kritischen Moment, der pathetisch ist, rettungslos pathetisch.«
»…!«
»…!«
Die anomale Erregung, mit der er solcherlei Gedanken ausschüttete, ließ die beiden anwesenden Freunde bestürzte Blicke austauschen. Ihre Verwirrung ließ sie sich Op Oloop nähern. Keiner der beiden verstand etwas, doch sie bemühten sich gemeinsam darum, ihn zu beruhigen. Ihr Vorhaben stellte sich als fruchtlos und unwirksam heraus. So verbrachten sie eine beträchtliche Zeit. Piet Van Saal schrieb alles einem momentanen Zusammenbruch zu, hervorgebracht durch surmenage. Quintin Hoerée, scharfsinniger in seiner Suche nach einer Erklärung, sah es als Ausbruch
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