Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)
»Mittelgebirgswanderungen (Sauerland) und einzelne Etappen des Rheinsteigs« bewältigt haben, gewöhnlich einmal pro Woche drei Stunden wandern gehen und nun ihr erstes arktisches Abenteuer planen.
Jetzt gibt es kein Zurück mehr: Die beiden kaufen sich wasserfeste Trekkingschuhe und fangen an zu trainieren.
Oktober 1911
Zürich, Schweizerische meteorologische Zentralanstalt
»Besuche bitte kurz« steht auf dem Zettel an der Tür von Alfred de Quervains Büro. Doch der 32-jährige Forscher mit schwungvoll gezwirbeltem Schnurrbart und Zwicker auf der Nase nimmt sich viel Zeit für Roderich und Karl. Schließlich erklärt er, wie mein Opa später schreibt, dass »wir uns nun als Teilnehmer der Expedition betrachten konnten! Der Traum meiner Jugend sollte also wirklich in Erfüllung gehen!«
Roderich erinnert sich daran, dass in dem Büro des Expeditionsleiters »eine bemerkenswerte Unordnung« herrscht und kaum Platz zum Sitzen vorhanden ist, weil selbst die Stühle mit Büchern und Instrumenten »vollgepfropft« sind. An der Wand hängt eine große Grönlandkarte, auf der mit schwarzen Papierstreifen die geplante Strecke aufgezeichnet ist: eine gerade Linie, die diagonal über die weiße Fläche auf der Karte verläuft. Von Jakobshavn nach Angmagssalik, etwa 700 Kilometer durchs weiße Nichts. Nur der Norweger Fridtjof Nansen hatte es vorher geschafft, quer durch Grönland zu wandern. Seine geplante Route im Jahr 1888 entsprach ziemlich genau der von de Quervain, allerdings drifteten seine Boote bei der Anreise so weit ab, dass er auf eine erheblich kürzere Route weiter südlich ausweichen musste. Nansens Motto lautete »Der Tod oder die Westküste«, de Quervain gibt als Parole »Der Tod oder die Ostküste« aus.
Kaum hat mein Opa die Zusage erhalten, zieht er sich in die Werkstatt neben dem Haus seiner Eltern zurück, am Fuß des Zürichbergs in der Schmelzbergstraße 34. Ein Foto aus der Zeit zeigt den Raum mit einer Werkbank, einem Schaubild der Sternzeichen, halb fertigen Geigen und einem Regal voller dicker Wälzer – eindeutig zu erkennen ist nur Stielers Hand-Atlas, ein geografisches Standardwerk seiner Zeit.
Roderich macht sich an die Arbeit. Er lässt einen Nansen-Kocher brennen, um auszurechnen, wie viel Benzin die vierköpfige Mannschaft unter arktischen Bedingungen brauchen wird. Mit einer Federwaage testet er, bei welcher Belastung verschiedene Stoffe reißen, um das stabilste Material für die Zelte zu ermitteln. Über einem Feuer erhitzt er Holz, um es für die Spanten der Kajaks biegsam zu machen. Die Paddelboote baut er nach grönländischem Muster, 52 Zentimeter breit, 5,40 Meter lang. Ganz authentisch sind sie nicht, statt Seehundleder kommt als Außenhaut Amsterdamer Segeltuch zum Einsatz, das er mit weißer Ölfarbe wasserdicht macht.
Roderich baut eine Segelvorrichtung für die drei Schlitten, die aus Christiania geliefert wurden, dem heutigen Oslo. Aus Pappelholz zimmert er leichtgewichtige Kisten für die Messinstrumente, die Kanten verstärkt er mit Blech.
Zusammen mit de Quervain und Gaule testet er die Kajaks auf dem Zürichsee. Prompt kentert Gaule. Er versucht verzweifelt, sich aufzurichten, ein paarmal kann er nach Luft schnappen über dem Wasser, dann rührt sich nichts mehr. Roderich kentert sein eigenes Kajak, um herauskriechen zu können, fürchtet er doch um das Leben des besten Freundes. Just in dem Moment kann sich Gaule wieder aufrichten, prustend kommt er nach oben. Nun treibt Roderichs Kajak ab, er schwimmt hinterher und muss viel Wasser schlucken, bis er es zu fassen bekommt. Dann kraulen beide zu de Quervains Boot, halten sich an ihm fest und schreien um Hilfe. Ein Werftbesitzer hört sie und fischt sie mit seinem Motorboot aus dem eiskalten Wasser.
Ungeachtet dieses Zwischenfalls notiert Roderich später: »Die Vorbereitungszeit und der Betrieb in der Werkstatt waren für mich etwas sehr Stimmungsvolles. Wie viel, fast alles beim Gelingen eines solchen Unternehmens liegt gerade an den Vorbereitungen!«
Februar 2011
Hamburg
Anders als mein Opa hatte ich nicht schon als Kind den Traum, durch eisige Polarregionen zu laufen. Mit sechs wollte ich Schiffsmuseumsdirektor werden, mit elf Ägyptologe und mit 15 Rockgitarrist. Mit 20, als ich wirklich einen Plan gebraucht hätte, hatte ich keinen mehr. Also reiste ich ein bisschen in der Welt herum, stieg auf ein paar Berge und wurde Journalist.
Ich schreibe oft über Achttausender-Besteigungen und neue
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