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Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)

Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)

Titel: Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Orth
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sich um eine schlecht gekühlte Dose der objektiv betrachtet fürchterlichen Sorte Tuborg Green handelt. Einer meiner Mitstreiter bringt das Gerücht auf, dass man mit dem Seufzer nach diesem ersten Schluck Bier Schlüsselstellen eines Pornofilms synchronisieren könnte.
    »Frisches Brot ist doch was Feines, oder?«, sagt Robert Peroni, und wir nicken mit vollem Mund. Morgen beim Frühstücksbuffet werde ich zwölf Scheiben davon verdrücken, mit jeweils fast einem Zentimeter Salami oder Schinken als Belag. Peroni setzt sich zu uns und erzählt vergnügt von anderen Expeditionsfiaskos. »Einmal war hier eine Bergsteigergruppe, die falsches Benzin für ihre Kocher nach Tasiilaq geliefert bekam. Das haben sie nicht getestet, für 10 000 Euro ließen sie sich ins Schweizerland zum Mont Forel fliegen.« Dort hätten sie dann festgestellt, dass sie nicht kochen konnten. »Immerhin war Sommer, und es gab dort Trinkwasser, aber nach drei Tagen mussten sie zurückfliegen.« So einen Schlittenschaden wie unseren hat er noch nie gesehen. »Wenn ihr da einen Materialfehler nachweisen könnt, müsstet ihr mit einem guten Anwalt einiges an Schadenersatz kriegen«, sagt er.
    Die erste Dusche in der Zivilisation ist eher enttäuschend. Ob man sich drei Wochen nicht wäscht oder fünf, ist eigentlich egal. Unser eigener Geruchssinn ist abgestumpft, die Körperhygiene ist hauptsächlich ein Akt der Nächstenliebe gegenüber den anderen Hostelgästen. Manche von ihnen machen tatsächlich einen respektvollen Bogen um uns. Lang müssen sie uns allerdings sowieso nicht ertragen. Abends um Viertel nach acht schaut Gregor auf die Uhr: »So spät war ich schon lange nicht mehr im Bett«, sagt er und holt seine Zahnbürste.
    Die Zivilisation bietet Brot und Bier, sie ist aber auch a) verwirrend, b) ein Kontrollverlust und c) ziemlich fehleranfällig. Verwirrend wie ein Supermarkt mit Neonlicht, zwölf Sorten Käse, zwei Apfelarten und Dutzenden italienischen und französischen Rotweinen. Was nimmt man denn da? Warum sind die Packungen so bunt?
    Ein Kontrollverlust deshalb, weil plötzlich nicht mehr wir bestimmen, wie der Tag abläuft. Ständig müssen wir auf irgendwas warten: Frühstück erst ab acht Uhr, das Boot zum Flughafen fährt um zehn, der Flieger geht um drei. Eine halbe Stunde dauert es im Postamt, bis der Nummernzettel mit der Digitalanzeige übereinstimmt, reine Zeitverschwendung. Wie viel Freiheit man genossen hat, merkt man erst in dem Moment, in dem man sie nicht mehr hat.
    Fehleranfällig ist die Zivilisation insofern, als das Internet im Hostel erst mal nicht funktioniert, der Geldautomat kein Geld ausspucken will und die Kaffeesahne-Miniverpackung so konstruiert ist, dass sich der Inhalt bei ungestümer Handhabung überallhin ergießt, nur nicht in Richtung Filterkaffee. Nervig ist auch ein penetrantes Surren des Kühlschranks in der Hostelwohnküche, das sonst niemand wahrzunehmen scheint. Wir kommen aus einer schwarz-weißen Welt der Kälte und des Windes in eine knallbunte Welt der Störgeräusche, der unbegrenzten Wahlmöglichkeiten – und der unbegrenzten Informationsflut.
    Zum ersten Mal wieder Online-Nachrichten seit vier Wochen, ein Unding für einen Journalisten, der sich sonst im Stundentakt auf den neuesten Stand bringt. Es könnte ein Ufo gelandet oder ein Krieg ausgebrochen sein, wir würden nichts davon wissen. Ein kurzer Blick auf die Nachrichtenportale bringt aber Entwarnung. Ein Lufthansa-Streik, Mitt Romney im Wahlkampf, Abschlussfeier der Olympischen Sommerspiele – im August 2012 ist eigentlich nichts passiert.
    Ich nutze die Gelegenheit, um zum ersten Mal die Forumsbeiträge zu lesen, die sich mit unserem Scheitern befassen. Wie erwartet tun sie das ohne übermäßige Empathie:
    »Die hätten betr. Schlitten vielleicht mal jemand fragen sollen, der sich damit auskennt«, schreibt einer. »Superkonstruktion, das hätte ich ja besser selbst bauen können«, ein anderer, der mit den Worten »ihr Hobby Outdoortypen« endet. »Das ist Baumarkt-Bastel-Schrott und kein High Tech! Geradezu tollkühn, sich mit so was in die Eis-Wildnis zu begeben«, lautet die nächste Ferndiagnose.
    Zuletzt lese ich noch ein paar E-Mails. Eine Freundin schreibt per E-Mail, dass ihr Opa in der Ukraine mit 87 gestorben ist. Sie bedauert es, ihn nicht mehr besucht zu haben, zuletzt hat sie ihn vor vier Jahren gesehen.
    Fast hätte ich ihr geschrieben, sei froh, dass du ihn überhaupt erlebt hast, aber das wäre nicht nur

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