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Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)

Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)

Titel: Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Orth
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teilhaben lässt: Vielleicht haben wir die Geheimformel für eine harmonische Arktisreise entdeckt.
    Jetzt stehen wir jedenfalls friedlich am Fenster im Aufenthaltsraum des »Roten Hauses« und gucken nach draußen. »Da wartet man so sehnsüchtig auf den Hubschrauber, dabei war es da oben viel schöner als hier«, sagt Wilfried, und er spricht mir aus der Seele.
    Es ist entschieden zu warm hier, und auch der Spiegel an der Wand gefällt mir gar nicht. Aus dem glotzt mich nämlich ein erschrockener Kerl mit unordentlichem Bart und roter Nase an. An die Kopfhaut schmiegen sich ein paar dunkelblonde Streifen, die nur entfernt an Haare erinnern und an den Spitzen in teils bizarren Formen nach außen abstehen.
    In den fast vier Wochen in der Arktis habe ich manchmal sehnsüchtig an beheizte Räume gedacht. Jetzt will ich am liebsten sofort wieder raus. Oder wenigstens ins Zelt. Das Glühlampenlicht brennt auf der Gesichtshaut, die Heizung sorgt für Schweißausbrüche. Ein kühlender arktischer Wind im Gesicht wäre jetzt schön.

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    August 1912, Entwurf für Telegramm
    S. Majestät König von Dänemark Frederic, Kopenhagen. Eur. Majestät gestattet sich die vollendete erste Durchquerung Ihrer WestOstdurchquerung Ihrer Kolonie Grönland mitzuteilen gestattet sich der Leiter der Schweizerischen Expedition A. de Quervain
    (Darunter Bleistift-Vermerk: »nicht abgesandt«)
    August 1912, Entwurf für Telegramm
    An die »Neue Züricher Zeitung«
    Mitte Grönlands 700 km in vier Wochen nach kritischer Situation auf Westküste glücklich durchquert. Alle wohlbehalten. Größte Höhe 2850 nahezu 3000 m. Auf Ostseite im Eis neues unbekanntes unbekanntes Gebirgsland mit größten bisher gemessenen sicher festgestellten Berg-Höhen in Grönland
    Anschließend näheres folgt näheres
    Schweizerische Grönlandexpedition
    Alfred de Quervain

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4. August 1912
    Ostgrönland

    Es ist dunkel, nur ein wenig Mondlicht scheint von draußen ins Zimmer herein. An der Wand bewegt sich etwas. Einige riesige Wale versuchen, durch die Bilderrahmen ins Zimmer zu gelangen, bewegen sich auf de Quervain zu. Er schreckt aus dem Schlaf hoch. Ein Alptraum? Verdammt nein, die Wale sind immer noch da. Warum bemerken die anderen nichts, die so friedlich auf dem Boden schlummern? Das gibt es doch nicht, wird er verrückt? Er versucht wieder einzuschlafen auf seiner Couch, doch ständig wacht er auf. Erst als es hell wird, verschwinden die Trugbilder.
    Vielleicht verträgt de Quervain es einfach nicht mehr, in einem geschlossenen Raum zu schlafen. Er beschließt, die nächste Nacht wieder draußen zu verbringen, denn dort hatte er nie Schlafprobleme. Er baut das Expeditionszelt neben der Butik auf, Petersens kleinem Laden für Tabak, Handwerkszeug und Lebensmittel, und bringt seinen Schlafsack herunter. Dann stapft er noch einmal hoch zur Unterkunft, um ein Gewehr und Patronen zu holen. Falls ein Eisbär kommt.
    Die anderen beobachten ihren Expeditionsleiter besorgt, er hat ihnen von seinen Halluzinationen berichtet. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Eisbär in den Ort vorwagt, ist um diese Jahreszeit gering. Ob er gar auf seine Walgespenster schießen will? Während es draußen langsam wieder dunkel wird, liegen sie in ihren Schlafsäcken und diskutieren, ob sie Petersen informieren sollen. Müssen sie ihren Chef einsperren, weil er unzurechnungsfähig geworden ist? Ist der Mann eine Gefahr für andere? Sie beschließen, zunächst noch eine Nacht abzuwarten. Besonders gut schläft keiner von ihnen, zu groß ist die Angst, plötzlich einen Schuss zu hören.
    Doch es bleibt ruhig. Am Morgen berichtet ein bleicher de Quervain, auch im Zelt Tiere gesehen zu haben. Es ist egal, wo er sich aufhält, sie finden ihn ja doch, also zieht er zurück ins Holzhaus. Der Anführer ist kaum wiederzuerkennen, die vergangenen Wochen haben ihn mehr mitgenommen, als er sich anmerken ließ. Sobald es dunkel wird, spricht er lauter als sonst, um seine düsteren Gedanken gewaltsam auszublenden. Sein Blick wirkt gehetzt, er wackelt nervös auf seinem Stuhl herum, springt auf und setzt sich wieder.
    Er wälzt sich im Schlaf, stöhnt und schlägt um sich. Jetzt scheint er im Traum wieder auf dem Inlandeis zu sein, denn plötzlich ruft er: »Hoessly, halt, halt!« Der Angesprochene ist Chirurg und kein Psychiater, hier kann er nichts ausrichten.
    Tagsüber dagegen ist Hoessly nun sehr begehrt als Arzt, viele Dorfbewohner bitten um Hilfe: eine Frau mit einem vereiterten Ohr,

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