Oper und Drama
dieser Leiche die pomphafte Larve vom Gesicht, wie um den Grund ihres einstigen Lebens zu erspähen: durch alle Pracht der stolz verhüllenden Gewänder hindurch entdeckte er da dieses – den wahren Lebensgrund auch dieser gewaltig sich Gebarenden –: die Melodie . – Blickte er auf die heimische italienische Oper und das Werk der Erben Mozarts, nichts anderes gewahrte er als wiederum den Tod – den Tod in inhaltslosen Formen, als deren Leben ihm die Melodie aufging – die Melodie schlechtweg, ohne alle das Vorgeben von Charakter, das ihm durchaus heuchlerisch dünken mußte, wenn er auf das sah, was ihm Unfertiges, Gewaltsames und Halbes entsprungen war.
Leben wollte aber Rossini, und um dies zu können, begriff er sehr wohl, daß er mit denen leben müsse, die Ohren hatten, um ihn zu hören. Als das einzige Lebendige in der Oper war ihm die absolute Melodie aufgegangen; so brauchte er bloß darauf zu achten, welche Art von Melodie er anschlagen müßte, um gehört zu werden. Über den pedantischen Partiturenkram sah er hinweg, horchte dahin, wo die Leute ohne Noten sangen und was er da hörte, war das, was am unwillkürlichsten aus dem ganzen Opernapparate im Gehöre haften geblieben war, die nackte, ohrgefällige, absolut melodische Melodie , d. h. die Melodie, die eben nur Melodie war und nichts anderes, die in die Ohren gleitet – man weiß nicht warum, die man nachsingt – man weiß nicht warum, die man heute mit der von gestern vertauscht und morgen wieder vergißt – man weiß auch nicht warum, die schwermütig klingt, wenn wir lustig sind, die lustig klingt, wenn wir verstimmt sind, und die wir uns doch vorträllern – wir wissen eben nicht warum?
Diese Melodie schlug denn Rossini an, und – siehe da! – das Geheimnis der Oper ward offenbar. Was Reflexion und ästhetische Spekulation aufgebaut hatten, rissen Rossinis Opernmelodien zusammen, daß es wie wesenloses Hirngespinst verwehte. Nicht anders erging es der »dramatischen« Oper, wie der Wissenschaft mit den Problemen, deren Grund in Wahrheit eine irrige Anschauung war, und die bei tiefstem Forschen immer nur irriger und unlösbarer werden müssen, bis endlich das Alexandersschwert sein Werk verrichtet und den Lederknoten mitten durchhaut, daß die tausend Riemenenden nach allen Seiten hin auseinanderfallen. Dies Alexandersschwert ist eben die nackte Tat, und eine solche Tat vollbrachte Rossini, als er alles Opernpublikum der Welt zum Zeugen der ganz bestimmten Wahrheit machte, daß dort die Leute nur »hübsche Melodien« hören wollten, wo es irrenden Künstlern zuvor eingefallen war, durch den musikalischen Ausdruck den Inhalt und die Absicht eines Dramas kundzutun.
Alle Welt jubelte Rossini für seine Melodien zu, ihm, der es ganz vortrefflich verstand, aus der Verwendung dieser Melodien eine besondere Kunst zu machen. Alles Organisieren der Form ließ er ganz beiseite; die einfachste, trockenste und übersichtlichste, die er nun vorfand, erfüllte er dagegen mit dem ganzen folgerichtigen Inhalte, dessen sie einzig von je bedurft hatte –: narkotisch-berauschende Melodie. Ganz unbekümmert um die Form, eben weil er sie durchaus unberührt ließ, wandte er sein ganzes Genie nur zu den amüsantesten Gaukeleien auf, die er innerhalb dieser Formen ausführen ließ. Den Sängern, die zuvor auf dramatischen Ausdruck eines langweiligen und nichtssagenden Worttextes studieren mußten, sagte er: »Macht mit den Worten, was ihr Lust habt, vergeßt aber vor allem nur nicht, für lustige Läufe und melodische Entrechats euch tüchtig applaudieren zu lassen.« Wer gehorchte ihm lieber als die Sänger? – Den Instrumentisten, die zuvor abgerichtet waren, pathetische Gesangsphrasen so intelligent wie möglich in übereinstimmendem Gesamtspiele zu begleiten, sagte er: »Macht's euch leicht, vergeßt vor allem nur nicht, da, wo ich jedem von euch Gelegenheit dazu gebe, für eure Privatgeschicklichkeit euch gehörig beklatschen zu lassen.« Wer dankte ihm eifriger als die Instrumentisten? – Dem Operntextdichter, der zuvor unter den eigensinnig befangenen Anordnungen des dramatischen Komponisten Blut geschwitzt hatte, sagte er: »Freund, mach, was du Lust hast, denn dich brauche ich gar nicht mehr.« Wer war ihm verbundener für solche Enthebung von undankbarer, saurer Mühe als der Operndichter?
Wer aber vergötterte für alle diese Wohltaten Rossini mehr als die ganze zivilisierte Welt, soweit sie die Operntheater fassen konnten? Und wer hatte
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