Oper und Drama
wohlverdiente Buße zu tragen, Fischhändler und Kirchenkomponist! –
Nur auf weiterem Umwege können wir jedoch zur verständlichen Darstellung des Wesens der modernsten Oper gelangen. –
[ III ]
Die Geschichte der Oper ist seit Rossini im Grunde nichts anderes mehr als die Geschichte der Opernmelodie , ihrer Deutung vom künstlerisch spekulativen, und ihres Vortrages vom wirkungssüchtigen Standpunkte der Darstellung aus.
Rossinis von ungeheurem Erfolge gekröntes Verfahren hatte unwillkürlich die Komponisten vom Aufsuchen des dramatischen Inhaltes der Arie, und von dem Versuche, ihr eine konsequente dramatische Bedeutung einzubilden, abgezogen. Das Wesen der Melodie selbst , in welche sich das ganze Gerüst der Arie aufgelöst hatte, war es, was jetzt den Instinkt wie die Spekulation des Komponisten gefangennahm. Man mußte empfinden, daß selbst an der Arie Glucks und seiner Nachfolger das Publikum nur in dem Grade sich erbaut hatte, als die durch die Textunterlage bezeichnete allgemeine Empfindung im rein melodischen Teile dieser Arie einen Ausdruck erhalten hatte, der wiederum in seiner Allgemeinheit sich nur als absolut ohrgefällige Tonweise kundgab. Wird uns dies an Gluck schon vollkommen deutlich, so wird an dem letzten seiner Nachfolger, Spontini, es uns zum Handgreifen ersichtlich. Sie alle, diese ernsten musikalischen Dramatiker, hatten sich mehr oder weniger selbst belogen, wenn sie die Wirkung ihrer Musik weniger der rein melodischen Essenz ihrer Arien als der Verwirklichung der, von ihnen denselben untergelegten, dramatischen Absicht zuschrieben. Das Operntheater war zu ihrer Zeit, und namentlich in Paris, der Sammelplatz ästhetischer Schöngeister und einer vornehmen Welt, die sich darauf steifte, ebenfalls ästhetisch und schöngeistig zu sein. Die ernste ästhetische Intention der Meister ward von diesem Publikum mit Respekt aufgenommen; die ganze Glorie des künstlerischen Gesetzgebers strahlte um den Musiker, der es unternahm, in Tönen das Drama zu schreiben, und sein Publikum bildete sich wohl ein, von der dramatischen »Deklamation« ergriffen zu sein, während es in Wahrheit doch nur von dem Reize der Arienmelodie hingerissen war. Als das Publikum, durch Rossini emanzipiert, sich dies endlich offen und unumwunden eingestehen durfte, bestätigte es somit eine ganz unleugbare Wahrheit und rechtfertigte dadurch die ganz folgerichtige und natürliche Erscheinung, daß da, wo nicht nur der äußerlichen Annahme, sondern auch der ganzen künstlerischen Anlage des Kunstwerkes gemäß, die Musik die Hauptsache, Zweck und Ziel war, die nur helfende Dichtkunst und alle durch sie angedeutete dramatische Absicht wirkungslos und nichtig bleiben müsse, dagegen die Musik alle Wirkung durch ihr eigenstes Vermögen ganz allein hervorzubringen habe. Alle Absicht, sich selbst dramatisch und charakteristisch geben zu wollen, konnte die Musik nur in ihrem wirklichen Wesen entstellen, und dieses Wesen spricht sich, sobald die Musik zur Erreichung einer höhern Absicht nicht nur helfen und mit wirken, sondern für sich ganz allein wirken will, nur in der Melodie, als dem Ausdrucke einer allgemeinen Empfindung, aus.
Allen Opernkomponisten mußte durch Rossinis unwiderlegliche Erfolge dies ersichtlich werden. Stand tiefer fühlenden Musikern hiergegen eine Erwiderung offen, so konnte es bloß die sein, daß sie den Charakter der Rossinischen Melodie nicht nur als seicht und ungemütlich, sondern als das Wesen der Melodie überhaupt nicht erschöpfend begriffen. Es mußte solchen Musikern die künstlerische Aufgabe sich darstellen, der unstreitig allmächtigen Melodie den ganzen vollen Ausdruck schöner menschlicher Empfindung zu geben, der ihr ureigen ist; und in dem Streben, diese Aufgabe zu lösen, setzten sie die Reaktion Rossinis – über das Wesen und die Entstehung der Oper hinaus – bis zu dem Quelle fort, aus dem auch die Arie wiederum ihr künstliches Leben geschöpft hatte, bis zur Restauration der ursprünglichen Tonweise des Volksliedes .
Von einem deutschen Musiker ward diese Umwandelung der Melodie zuerst und mit außerordentlichem Erfolge in das Leben gerufen. Karl Maria von Weber gelangte zu seiner künstlerischen Reife in einer Epoche geschichtlicher Entwickelung, wo der erwachte Freiheitstrieb sich weniger noch in den Menschen als solchen, sondern in den Völkern als nationalen Massen kundgab. Das Unabhängigkeitsgefühl, das in der Politik sich noch nicht auf das Reinmenschliche
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