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Oper und Drama

Oper und Drama

Titel: Oper und Drama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wagner
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Wortvers gäbe es für das Volk keine Tonweise. Variiert im Laufe der Zeit und bei verschiedenen Abstufungen des Volksstammes die Tonweise, so variiert ebenso auch der Wortvers; irgendwelche Trennung ist ihm unfaßlich, beide sind ihm ein zu sich gehöriges Ganzes, wie Mann und Weib. Der Luxusmensch hörte diesem Volksliede nur aus der Ferne zu; aus dem vornehmen Palaste lauschte er den vorüberziehenden Schnittern, und was von der Wiese herauf in seine prunkenden Gemächer drang, war nur die Tonweise, während die Dichtweise für ihn da unten verhallte. War diese Tonweise der entzückende Duft der Blume, der Wortvers aber der Leib dieser Blume selbst mit all seinen zarten Zeugungsorganen, so zog der Luxusmensch, der einseitig nur mit seinen Geruchsnerven, nicht aber gemeinsinnig mit dem Auge zugleich genießen wollte, diesen Duft von der Blume ab und destillierte künstlich den Parfüm, den er auf Fläschchen zog, um nach Belieben ihn willkürlich bei sich führen zu können, sich und sein prachtvolles Gerät mit ihm zu netzen, wie er Lust hatte. Um sich auch an dem Anblicke der Blume selbst zu erfreuen, hätte er notwendig näher hinzugehen, aus seinem Palaste auf die Waldwiese herabsteigen, durch Äste, Zweige und Blätter sich durchdrängen müssen, wozu der Vornehme und Behagliche durchaus kein Verlangen hatte. Mit diesem wohlriechenden Substrate besprengte er nun auch die öde Langeweile seines Lebens, die Hohlheit und Nichtigkeit seiner Herzensempfindung, und das künstlerische Gewächs, das dieser unnatürlichen Befruchtung entsproß, war nichts anderes, als die Opernarie . Sie blieb, mochte sie in noch so verschiedenartige willkürliche Verbindungen gezwungen werden, doch ewig unfruchtbar und immer nur sie selbst, das, was sie war und nicht anders sein konnte: ein bloß musikalisches Substrat. Der ganze luftige Körper der Arie verflog in die Melodie; und diese ward gesungen, endlich gegeigt und gepfiffen, ohne nur irgend noch sich anmerken zu lassen, daß ihr ein Wortvers oder gar Wortsinn unterzuliegen habe. Je mehr dieser Duft aber, um ihm irgendwelchen Stoff zum körperlichen Anhaften zu bieten, zu Experimenten aller Art sich hergeben mußte, unter denen das pomphafteste das ernstliche Vorgeben des Dramas war, desto mehr fühlte man ihn von all der Mischung mit Sprödem, Fremdartigem angegriffen, ja an wollüstiger Stärke und Lieblichkeit abnehmen. Der diesem Dufte nun, unnatürlich wie er war, wieder einen Körper gab, der, nachgemacht wie er war, doch wenigstens so täuschend wie möglich jenen natürlichen Leib nachahmte, der einst diesen Duft aus seiner natürlichen Fülle, als den Geist seines Wesens, in die Lüfte aussandte; der ungemein geschickte Verfertiger künstlicher Blumen, die er aus Samt und Seide formte, mit täuschenden Farben bemalte, und deren trockenen Kelch er mit jenem Parfümsubstrat netzte, daß es aus ihm zu duften begann, wie fast aus einer wirklichen Blume; – dieser große Künstler war Joachimo Rossini .
    Bei Mozart hatte jener melodische Duft in einer herrlichen, gesunden, ganz mit sich einigen, künstlerischen Menschennatur einen so nährenden Boden gefunden, daß er aus ihr heraus selbst wieder die schöne Blume echter Kunst trieb, die uns zu innigstem Seelenentzücken hinreißt. Auch bei Mozart fand er jedoch nur diese Nahrung, wenn das ihm Verwandte, Gesunde, Reinmenschliche als Dichtung zur Vermählung mit seiner ganz musikalischen Natur sich ihm darbot, und fast war es nur glücklicher Zufall, wenn wiederholt diese Erscheinung ihm entgegenkam. Wo Mozart von diesem befruchtenden Gotte verlassen war, da vermochte auch das Künstliche jenes Duftes sich nur mühsam, und doch nur ohne wahres, notwendiges Leben, wiederum künstlich zu erhalten; die noch so aufwandvoll gepflegte Melodie erkrankte am leblosen kalten Formalismus, dem einzigen Erbteil, das der früh Verscheidende seinen Erben hinterlassen konnte, da er im Tode eben sein – Leben mit sich nahm.
    Was Rossini in der ersten Blüte seiner üppigen Jugend um sich gewahrte, war nur die Ernte des Todes. Blickte er auf die ernste französische, sogenannte dramatische Oper, so erkannte er mit dem Scharfblicke jugendlicher Lebenslust eine prunkende Leiche, die selbst der in prachtvoller Einsamkeit dahinschreitende Spontini nicht mehr zu beleben vermochte, da er – wie zur feierlichen Selbstverherrlichung – sich bereits selbst lebendig einbalsamierte. Von keckem Instinkte für das Leben getrieben, riß Rossini auch

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