Oper und Drama
Ermessen davon abzog, an jenen Gemälden des Meisters eigentlichen Drang zu erforschen – diesen Drang, der wahrlich ganz woanders hinging als nach Sättigung phantastischer Willkür und Laune? Gewiß ist, daß Berlioz' künstlerische Begeisterung aus dem verliebten Hinstarren auf jene sonderbar krausen Federstriche sich erzeugte: Entsetzen und Entzücken faßte ihn beim Anblick dieser rätselhaften Zauberzeichen, in die der Meister Entzücken und Entsetzen zugleich gebannt hatte, um durch sie das Geheimnis kundzutun, das er nie in der Musik aussprechen konnte, und einzig doch nur in der Musik aussprechen zu können wähnte. Bei diesem Anblicke faßte den Hinstarrenden der Schwindel; wirr und bunt tanzte ein hexenhaftes Chaos vor den Augen, deren natürliche Sehkraft einer erblödeten Vielsichtigkeit wich, in welcher der Geblendete da farbige, fleischige Gestalten zu erblicken vermeinte, wo in Wahrheit nur gespenstische Knochen und Rippen ihren Spuk mit seiner Phantasie trieben. Dieser gespenstisch erregte Schwindel war aber wirklich nur Berlioz' Begeisterung: erwachte er aus ihm, so gewahrte er, mit der Abspannung eines durch Opium Betäubten, eine frostige Leere um sich her, die nun zu beleben er sich mühte, indem er die Erhitzung seines Traumes sich künstlich zurückrief, was ihm nur durch peinlich mühsame Abrichtung und Verwendung seines musikalischen Hausrates gelingen wollte.
In dem Bestreben, die seltsamen Bilder seiner grausam erhitzten Phantasie aufzuzeichnen und der ungläubigen ledernen Welt seiner Pariser Umgebung genau und handgreiflich mitzuteilen, trieb Berlioz seine enorme musikalische Intelligenz bis zu einem dahin ungeahnten technischen Vermögen. Das, was er den Leuten zu sagen hatte, war so wunderlich, so ungewohnt, so gänzlich unnatürlich, daß er dies nicht so geradeheraus mit schlichten, einfachen Worten sagen konnte: er bedurfte dazu eines ungeheuren Apparates der kompliziertesten Maschinen, um mit Hülfe einer unendlich fein gegliederten und auf das mannigfaltigste zugerichteten Mechanik das kundzutun, was ein einfach menschliches Organ unmöglich aussprechen konnte: eben weil es etwas ganz Unmenschliches war. Wir kennen jetzt die übernatürlichen Wunder, mit denen einst die Priesterschaft kindliche Menschen der Art täuschte, daß sie glauben mußten, irgendein lieber Gott gebe sich ihnen kund: nichts als die Mechanik hat von je diese täuschenden Wunder gewirkt. So wird auch heutzutage das Über natürliche, eben weil es das Un natürliche ist, dem verblüfften Publikum nur durch die Wunder der Mechanik vorgeführt, und ein solches Wunder ist in Wahrheit das Berliozsche Orchester . Jede Höhe und Tiefe der Fähigkeit dieses Mechanismus hat Berlioz bis zur Entwickelung einer wahrhaft staunenswürdigen Kenntnis ausgeforscht, und wollen wir die Erfinder unserer heutigen industriellen Mechanik als Wohltäter der modernen Staatsmenschheit anerkennen, so müssen wir Berlioz als den wahren Heiland unserer absoluten Musikwelt feiern; denn er hat es den Musikern möglich gemacht, den allerunkünstlerischsten und nichtigsten Inhalt des Musikmachens durch unerhört mannigfaltige Verwendung bloßer mechanischer Mittel zur verwunderlichsten Wirkung zu bringen.
Berlioz selbst reizte beim Beginn seiner künstlerischen Laufbahn gewiß nicht der Ruhm eines bloß mechanischen Erfinders: in ihm lebte wirklich künstlerischer Drang, und dieser Drang war brennender, verzehrender Natur. Daß er, um diesen Drang zu befriedigen, durch das Ungesunde, Unmenschliche in der zuvor näher besprochenen Richtung bis auf den Punkt getrieben wurde, wo er als Künstler in der Mechanik untergehen, als übernatürlicher phantastischer Schwärmer in einen allverschlingenden Materialismus versinken mußte, das macht ihn – außer zum warnenden Beispiele – um so mehr zu einer tief bedauernswürdigen Erscheinung, als er noch heute von wahrhaft künstlerischem Sehnen verzehrt wird, wo er doch bereits rettungslos unter dem Wuste seiner Maschinen begraben liegt.
Er ist das tragische Opfer einer Richtung, deren Erfolge von einer anderen Seite her mit der allerschmerzlosesten Unverschämtheit und dem gleichgültigsten Behagen von der Welt ausgebeutet wurden. Die Oper, zu der wir uns nun wieder zurückwenden, verschluckte auch die Berliozsche Neuromantik als feiste, wohlschmeckende Auster, deren Genuß ihr von neuem ein glattes, grundbehagliches Ansehen gab.
Der Oper war aus dem Gebiete der absoluten Musik ein
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