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Oper und Drama

Oper und Drama

Titel: Oper und Drama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wagner
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ungeheurer Zuwachs an Mitteln des mannigfaltigsten Ausdruckes durch das moderne Orchester zugeführt worden, das – im Sinne des Opernkomponisten – nun selbst sich »dramatisch« zu gebärden abgerichtet war. Zuvor war das Orchester nie etwas anderes als der harmonische und rhythmische Träger der Opernmelodie gewesen: mochte es in dieser Stellung noch so reich und üppig ausgestattet worden sein, immer blieb es dieser Melodie untergeordnet, und wo es zur unmittelbaren Teilnahme an dieser Melodie, zu ihrem Vortrage selbst gelangte, diente es doch gerade immer nur eben dazu, diese Melodie, als unbedingte Herrscherin, durch gleichsam prachtvollste Ausstattung ihres Hofstaates desto glänzender und stolzer erscheinen zu lassen. Alles, was zur notwendigen Begleitung der dramatischen Handlung gehörte, wurde für das Orchester dem Gebiete des Ballets und der Pantomime entnommen, auf welchem sich der melodische Ausdruck ganz nach den gleichen Gesetzen aus der Volkstanzweise entwickelt hatte wie die Opernarie aus der Volksliedweise. Wie diese Weise dem willkürlichen Belieben des Sängers und endlich des erfindungssüchtigen Komponisten, so hatte jene dem des Tänzers und Pantomimikers ihre Verzierung und Ausbildung zu verdanken gehabt: in beiden war aber unmöglich die Wurzel ihres Wesens anzutasten gewesen, weil diese außerhalb des Opernkunstbodens, den Faktoren der Oper unerkenntlich und unzugänglich stand, und dieses Wesen sprach sich in der scharf gezeichneten melismatischen und rhythmischen Form aus, deren Äußerlichkeit die Komponisten wohl variieren, deren Linien sie aber nie verwischen durften, ohne gänzlich anhaltslos im allerunbestimmtesten Ausdruckschaos dahinzuschwimmen. So war die Pantomime selbst von der Tanzmelodie beherrscht worden; der Pantomimiker konnte nichts durch Gebärden für ausdrucksmöglich halten, als was die an strenge rhythmische und melismatische Konvenienzen gefesselte Tanzmelodie irgendwie entsprechend zu begleiten imstande war: er blieb streng gebunden, seine Bewegungen und Gebärden, und somit das durch sie Auszudrückende, nur nach dem Vermögen der Musik abzumessen, sich und sein eigenes Vermögen nach diesem zu modeln und stereotypisch festzusetzen – ganz wie in der Oper der singende Darsteller sein eigenes dramatisches Vermögen nach dem Vermögen des stereotypen Arienausdruckes temperieren, und sein eigenes, nach der Natur der Sache in Wahrheit eigentlich zum Gesetzgeben berechtigtes Vermögen unentwickelt lassen mußte.
    In der naturwidrigen Stellung der künstlerischen Faktoren zueinander war denn in Oper wie in Pantomime der musikalische Ausdruck an starrem Formalismus haften geblieben, und namentlich hatte auch das Orchester als Begleiter des Tanzes und der Pantomime nicht die Fähigkeit des Ausdruckes gewinnen können, die es hätte erreichen müssen, wenn der Gegenstand der Orchesterbegleitung, die dramatische Pantomime, sich nach ihrem eigenen unerschöpflichen inneren Vermögen entwickeln und so an sich dem Orchester den Stoff zu wirklicher Erfindung zuweisen hätte dürfen. Nichts anderes als jener unfreie, banale, rhythmisch-melodische Ausdruck in der Begleitung pantomimischer Aktionen war bisher dem Orchester auch in der Oper möglich gewesen: einzig durch Üppigkeit und Glanz im äußerlichsten Kolorit hatte man ihn zu variieren versucht.
    In der selbständigen Instrumentalmusik war nun dieser starre Ausdruck gebrochen worden, und zwar dadurch, daß seine melodische und rhythmische Form wirklich in Stücken zerschlagen ward, die nun nach rein musikalischem Ermessen zu neuen, unendlich mannigfaltigen Formen verschmolzen wurden. Mozart begann in seinen symphonischen Werken noch mit der ganzen Melodie, die er, wie zum Spiele, kontrapunktisch in immer kleinere Teile zerlegte; Beethovens eigentümlichstes Schaffen begann mit diesen zerlegten Stücken, aus denen er vor unseren Augen immer reichere und stolzere Gebäude errichtet; Berlioz aber erfreute sich an der krausen Verwirrung, zu der er jene Stücke immer bunter durcheinanderschüttelte, und die ungeheuer komplizierte Maschine, den Kaleidoskop, worin er die bunten Steine nach Belieben durcheinanderrüttelte, reichte er dem modernen Opernkomponisten im Orchester dar.
    Diese zerschnittene, zerhackte und in Atome zersetzte Melodie, deren Stücke er nach Belieben, je widerspruchsvoller und ungereimter, desto auffallender und absonderlicher, aneinanderfügen konnte, nahm nun der Opernkomponist vom Orchester in den

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