Oper und Drama
wir durch die glühende Farbe der Mozartschen Musik auf den Grund zu blicken vermögen, mit desto größerer Sicherheit erkennen wir die scharfe und bestimmte Federzeichnung des Dichters, die durch ihre Linien und Striche die Farbe des Musikers erst bedang, und ohne die jene wundervolle Musik geradesweges unmöglich war.
Die in Mozarts Hauptwerke von uns angetroffene, so überraschend glückliche Beziehung zwischen Dichter und Komponisten sehen wir aber im ferneren Verlaufe der Entwickelung der Oper gänzlich wieder verschwinden, bis, wie wir sahen, Rossini sie gänzlich aufhob und die absolute Melodie zum einzig berechtigten Faktor der Oper machte, dem alles übrige Interesse, und vor allem die Beteiligung des Dichters, sich vollkommen unterzuordnen hatte. Wir sahen ferner, daß der Einspruch Webers gegen Rossini nur gegen die Seichtigkeit und Charakterlosigkeit dieser Melodie , keineswegs aber gegen die unnatürliche Stellung des Musikers zum Drama selbst gerichtet war. Im Gegenteile verstärkte Weber das Unnatürliche dieser Stellung nur noch dadurch, daß er durch charakteristische Veredelung seiner Melodie sich eine noch erhöhte Stellung gegen den Dichter zuteilte, und zwar gerade um so viel erhöht, als seine Melodie die Rossinische eben an charakteristischem Adel übertraf. Zu Rossini gesellte sich der Dichter als lustiger Schmarotzer, den der Komponist als vornehmer, aber leutseliger Mann mit Austern und Champagner nach Herzenslust traktierte, so daß der folgsame Poet bei keinem Herrn der Welt sich besser befand als bei dem famosen Maestro. Weber dagegen, erfüllt von unbeugsamem Glauben an die charakteristische Reinheit seiner einen und unteilbaren Melodie, knechtete sich den Dichter mit dogmatischer Grausamkeit und zwang ihn, den Scheiterhaufen selbst aufzurichten, auf dem der Unglückliche, zur Nahrung des Feuers der Weberschen Melodie, sich zu Asche verbrennen lassen sollte. Der Dichter des »Freischützen« war noch ganz ohne es zu wissen zu diesem Selbstmorde gekommen: aus seiner eigenen Asche heraus protestierte er, als die Wärme des Weberschen Feuers noch die Luft erfüllte, und behauptete, diese Wärme rühre von ihm her – er irrte sich gründlich; seine hölzernen Scheite gaben nur Wärme, als sie vernichtet – verbrannt waren: einzig ihre Asche, den prosaischen Dialog, konnte er nach dem Brande noch als sein Eigentum ausgeben.
Weber suchte sich nach dem »Freischützen« einen gefügigeren Dichterknecht und nahm zu einer neuen Oper eine Frau in Sold, von deren unbedingterer Unterordnung er sogar verlangte, daß sie nach dem Brande des Scheiterhaufens nicht einmal die Asche ihrer Prosa nachlassen sollte: sie sollte sich mit Haut und Haar in der Glut seiner Melodie verbrennen lassen. Uns ist aus der Korrespondenz Webers mit Frau von Chezy während der Anfertigung des Euryanthetextes bekannt geworden, mit welch peinlicher Sorgfalt er sich genötigt fühlte, wiederum seinen dichterischen Helfer bis auf das Blut zu quälen; wie er verwirft und vorschreibt, und wieder vorschreibt und verwirft; hier streicht, dort hinzuverlangt; hier verlängert, dort verkürzt haben will – ja seine Anordnungen bis auf die Charaktere selbst, ihre Motive und Handlungen erstreckt. War er hierin etwa ein krankhafter Eigensinniger, oder ein übermütiger Parvenü, der durch den Erfolg seines Freischützen eitel gemacht, jetzt als Despot befehlen wollte, wo er naturgemäß zu gehorchen gehabt hätte? O nein! Aus ihm sprach mit leidenschaftlichster Erregtheit nur die ehrliche künstlerische Sorge des Musikers, der, durch den Drang der Umstände verführt, es übernommen hatte, das Drama selbst aus der absoluten Melodie zu konstruieren. Weber war hierbei in einem tiefen Irrtume, aber in einem Irrtume, der ihm mit Notwendigkeit hatte ankommen müssen. Er hatte die Melodie zu ihrem schönsten, gefühlvollsten Adel erhoben, er wollte sie nun als Muse des Dramas selbst krönen, und durch ihre starke Hand all das lüderliche Gezücht von der Bühne jagen lassen, das diese entweihte. Hatte er im Freischützen alle lyrischen Züge der Operndichtung in diese Melodie hingeleitet, so wollte er nun aus den Lichtstrahlen seines melodischen Sternes das Drama selbst ausgießen. Man könnte sagen, seine Melodie zur »Euryanthe« sei eher fertig gewesen als die Dichtung; um diese zu liefern, brauchte er nur jemand, der seine Melodie vollkommen im Ohre und im Herzen hatte, und ihr bloß nachdichtete; da praktisch dies aber nicht
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