Oper und Drama
das immer historisch-dramatischere Gebaren der Oper nur von dem Komponisten ausgehen, der im notgedrungenen Streben, die Opernmelodie zu variieren, von Folge zu Folge dahin getrieben wurde, in diese seine Melodie das Vorgeben selbst historischer Charakteristik aufzunehmen, und dadurch dem Dichter bezeichnete, was er dem Musiker, um dessen Vornehmen zu entsprechen, liefern müsse. War nun diese Melodie bisher als Gesangsmelodie künstlich fortgepflanzt worden – als Melodie, die von der bedingenden dichterischen Unterlage abgelöst, dennoch im Munde oder in der Kehle des Sängers neue Bedingungen zu weiterer Kulturentwickelung erhielt – und gewann sie diese Bedingungen namentlich auch aus einem erneueten Ablauschen der ursprünglichen Naturmelodie vom Munde des Volkes – so wandte sich nun ihr heißhungriges Hinhorchen endlich dahin , wo die Melodie vom Munde des Sängers wiederum abgelöst, aus der Mechanik des Instrumentes fernere Lebensbedingungen gewonnen hatte. Die Instrumentalmelodie , in die Operngesangsmelodie [Fußnote: Daß die Gesangsmelodie, die nicht aus dem Wortverse ihre lebengebenden Bedingungen erhielt, sondern diesem nur aufgelegt wurde, an sich bereits nur Instrumentalmelodie war, müssen wir jetzt schon beachten; an besonders geeigneter Stelle werden wir aber hierauf und auf die Stellung dieser Melodie zum Orchester näher zurückkommen.] übersetzt, ward so zum Faktor des vorgegebenen Dramas : – in der Tat, so weit mußte es mit dem unnatürlichen Genre der Oper kommen! –
Während die Opernmelodie, ohne wirkliche Befruchtung durch die Dichtkunst, nur von Gewaltsamkeit zu Gewaltsamkeit fortschreitend, sich ein mühseliges, zeugungsunfähiges Leben erhalten konnte, hatte die Instrumentalmusik sich das Vermögen gewonnen, die harmonische Tanz- und Liedweise durch Zerlegung in kleinere und kleinste Teile, durch neues und mannigfaltig verschiedenartiges Aneinanderfügen, Ausdehnen oder Verkürzen dieser Teile, zu einer besonderen Sprache auszubilden, die so lange im höheren künstlerischen Sinne willkürlich und für das Reinmenschliche ausdrucksunfähig war, als in ihr das Verlangen nach klarem und verständlichem Wiedergeben bestimmter, individueller menschlicher Empfindungen sich nicht als einzig maßgebende Notwendigkeit für Gestaltung jener melodischen Sprachteile kundtat. Daß der Ausdruck eines ganz bestimmten, klarverständlichen individuellen Inhaltes in dieser, einer Empfindung nur nach ihrer Allgemeinheit gewachsenen Sprache in Wahrheit unmöglich war, hat erst derjenige Instrumentalkomponist aufzudecken vermocht, bei welchem das Verlangen, einen solchen Inhalt auszusprechen, zum verzehrend glühenden Lebenstriebe alles künstlerischen Gestaltens wurde.
Die Geschichte der Instrumentalmusik ist von da an, wo jenes Verlangen sich in ihr kundgab, die Geschichte eines künstlerischen Irrtumes, der aber nicht, wie der des Operngenres, mit Darlegung einer Unfähigkeit der Musik, sondern mit der Kundgebung eines unbegrenzten inneren Vermögens derselben endete. Der Irrtum Beethovens war der des Kolumbus [Fußnote: Schon in meinem Kunstwerk der Zukunft verglich ich Beethoven mit Kolumbus: ich muß diesen Vergleich hier nochmals aufnehmen, weil in ihm noch eine wichtige, früher von mir nicht berührte Ähnlichkeit enthalten ist. ] , der nur einen neuen Weg nach dem alten, bereits bekannten Indien aufsuchen wollte, dafür aber eine neue Welt selbst entdeckte; auch Kolumbus nahm seinen Irrtum mit sich in das Grab: er ließ seine Genossen durch einen Schwur bekräftigen, daß sie die neue Welt für das alte Indien hielten. So, immer noch im vollsten Irrtume befangen, löste dennoch seine Tat der Welt die Binde vom Gesicht, und lehrte sie auf das Unwiderleglichste die wirkliche Gestalt der Erde und die ungeahnte Fülle ihres Reichtumes erkennen. – Uns ist jetzt das unerschöpfliche Vermögen der Musik durch den urkräftigen Irrtum Beethovens erschlossen. Durch sein unerschrocken kühnstes Bemühen, das künstlerisch Notwendige in einem künstlerisch Unmöglichen zu erreichen, ist uns die unbegrenzteste Fähigkeit der Musik aufgewiesen zur Lösung jeder denkbaren Aufgabe, sobald sie eben nur das ganz und allein zu sein braucht, was sie wirklich ist – Kunst des Ausdruckes .
Des Irrtumes Beethovens und des Gewinnes seiner künstlerischen Tat konnten wir aber erst innewerden, als wir seine Werke im vollen Zusammenhange zu überblicken vermochten, als er uns mit seinen Werken zu einer
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