Operation Amazonas
den Mann aufs schmale Bett. »Hilf mir, ihn auszuziehen. Ich muss seine Wunden säubern und verbinden.«
Henaowe nickte und machte Anstalten, dem Mann die Hose aufzuknöpfen, da erstarrte er. Mit einem gedämpften Ausruf des Erschreckens wich der Indianer so ungestüm zurück, als sei er von einem Skorpion gebissen worden.
»Weti kete?«, fragte Garcia. »Was hast du?«
Henaowes Augen waren vor Entsetzen geweitet. Er zeigte auf die nackte Brust des Fremden und sagte etwas in der Eingeborenensprache.
Garcia legte die Stirn in Falten. »Was ist mit der Tätowierung?« Sie bestand überwiegend aus blauen und roten geometrischen Formen; aus roten Kreisen, schwungvollen Schnörkeln und spitzen Dreiecken. Von der Mitte ging eine rote Spirale aus, wie Blut, das kreiselnd in einem Abfluss verschwand. Im Zentrum der Spirale, unmittelbar über dem Nabel, prangte ein einzelner blauer Handabdruck.
»Shawara!«, rief Henaowe aus und wich zur Tür zurück.
Böse Geister.
Garcia blickte seinen Gehilfen an. Eigentlich hatte er geglaubt, der Indianer habe den Aberglauben überwunden. »Es reicht«, sagte er barsch. »Das ist doch bloß Farbe und kein Teufelswerk. Und jetzt hilf mir.«
Henaowe schüttelte sich und wollte nicht näher kommen.
Als der Mann aufstöhnte, wandte sich Garcia wieder seinem Patienten zu. Dessen Augen waren glasig vom Fieber. Er zerrte kraftlos am Laken. Garcia legte ihm die Hand auf die Stirn. Sie glühte. Er wandte sich zu Henaowe um. »Dann hol wenigstens den Verbandskasten und das Penicillin aus dem Kühlschrank.«
Erleichtert rannte der Indianer hinaus.
Garcia seufzte. Da er bereits seit zehn Jahren im Regenwald des Amazonas lebte, hatte er sich notgedrungen gewisse medizinische Fertigkeiten angeeignet; Knochenbrüche schienen, Wunden säubern und mit Heilsalben behandeln, Fieber senken. Er konnte sogar einfache Operationen durchführen, Wunden vernähen und bei schwierigen Geburten helfen. Als Padre der Mission war er nicht nur für das Seelenheil seiner Schäfchen verantwortlich, sondern war auch ihr Ratgeber, Häuptling und Arzt.
Garcia zog dem Mann die verschmutzte Kleidung aus und legte sie beiseite. Als der Fremde nackt vor ihm lag, sah er, wie übel ihm der unerbittliche Dschungel mitgespielt hatte. In den tiefen Wunden wanden sich Maden. Schuppender Pilzbefall hatte die Zehennägel weggefressen, und die Narbe an der Ferse stammte offenbar von einem Schlangenbiss.
Während er die Wunden versorgte, fragte sich der Padre, wer der Mann wohl war. Was hatte er erlebt? Doch auf alle Versuche, mit dem Mann zu reden, antwortete dieser nur mit unverständlichem Gebrabbel.
Viele Bauern, die im Dschungel ihr Auskommen zu finden suchten, fielen Indianern, Räubern, Drogenhändlern oder schlicht Raubtieren zum Opfer. Die häufigste Todesursache unter den Siedlern aber waren Krankheiten. In der abgelegenen Wildnis des Regenwaldes war der nächste Arzt oft erst nach wochenlanger Reise zu erreichen. Da konnte eine simple Grippe schon tödlich sein.
Das Scharren von Füßen auf dem Holzboden lenkte Garcias Aufmerksamkeit wieder zur Tür. Henaowe war mit dem Verbandskasten und einem Eimer mit sauberem Wasser zurückgekehrt. Doch er war nicht allein. Kamala war bei ihm, ein kleiner, weißhaariger Shapori , der Schamane des Stammes. Henaowe hatte den alten Medizinmann offenbar zu Hilfe geholt.
»Haya«, begrüßte ihn Garcia. »Großvater.« Dies war die typische Begrüßung für einen Stammesältesten der Yanomami.
Kamala schwieg. Er schritt einfach ins Zimmer und trat ans Bett. Mit zusammengekniffenen Augen musterte er den Fremden. Er wandte sich Henaowe zu und bedeutete dem Indianer, den Eimer und den Verbandskasten abzusetzen. Dann streckte der Schamane die Arme über dem Kranken aus und begann zu singen. Obwohl Garcia zahlreiche Eingeborenendialekte beherrschte, verstand er kein einziges Wort.
Als er fertig war, wandte Kamala sich an den Padre und sagte in fließendem Portugiesisch: »Der Nabe wurde von den Shawara berührt, den gefährlichen Geistern des Urwalds. Er wird noch heute Nacht sterben. Sein Leichnam muss vor Sonnenaufgang verbrannt werden.« Damit wandte Kamala sich zum Gehen.
»Warte! Sag mir, was die Symbole bedeuten.«
Kamala drehte sich widerwillig um und sagte: »Das ist das Zeichen des Ban-ali-Stammes. Blutjaguare. Er ist einer der ihren. Einem Ban-yi , einem Diener des Jaguars, darf niemand helfen, sonst muss er sterben.« Der Schamane pustete sich zur Abwehr böser Geister auf die
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