Operation Blackmail
Porzellankiste. Wie das Sprichwort, so das Leben,
sinnierte Mao. Die Batterien waren in Ordnung. Mit einem kurzen Tastaturbefehl
startete er ein kompliziertes Programm, dessen Entwicklung ihn mehrere Monate
gekostet hatte. Sein Abschiedsgeschenk für die EuroBank, falls sie doch noch
irgendwelche Tricks versuchten. Einen klitzekleinen Moment streifte ihn der
Gedanke, die Ermordung von Heinkel abzublasen. Aus den Augen, aus dem Sinn. Er
hatte nicht vor, jemals wieder mit Leonid zu telefonieren. Als er die Tür zu
seinem Apartment ein letztes Mal zuzog, hatte er den Gedanken längt verdrängt.
Sie würden in zwei Stunden überweisen, er hatte gewonnen. Sie hatten
gewonnen, das perfekte Team.
KAPITEL 66
Frankfurt am Main, Konzernzentrale der EuroBank
Tag 16: Dienstag, 22. Januar, 02:41 Uhr
Paul hatte das Blinken des EuroBank-Towers in seinem Büro
miterlebt. Auch jede Lichtquelle seines Zimmers hatte um exakt halb zwei alle
sechzig Sekunden aufgeleuchtet, zusammen mit vierzig weiteren Räumen auf seinem
Stockwerk. Es hatte etwas Gespenstisches an sich, dieses wie von Geisterhand
kommunizierende Etwas. Als habe das Gebäude selbst eine Seele: die Summe seiner
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sagten âºSchluss jetztâ¹. Und da die ganze
Welt wusste, was bei der EuroBank vor sich ging, würde jeder Beobachter wissen,
was es mit den nächtlichen Morsezeichen auf sich hatte. Binnen fünfzehn Minuten
nach dem Blinken hatte er auf einer deutschen Nachrichtenseite lesen können,
was morgen auf jeder Titelseite prangen würde: »Heinkel gibt auf«. Jetzt, über
eine Stunde später, saà Paul noch immer in seinem Büro und beobachtete durch
seine halb geöffnete Tür diejenige von Philipp Gessner, ihrem Pressesprecher
und dem Verräter. Thater hatte ihm aufgetragen, an ihm dranzubleiben, und diese
Aufgabe würde er mit Freuden erledigen.
Just in diesem Moment wurde in Gessners Büro das Licht
ausgeschaltet, und er kam in einem hellen Trenchcoat mit seinem grässlichen
rotbraunen Lederkoffer aus der Tür. Dazu passende Schuhe und Gürtel in
demselben Rotton. Früher hätte Paul ihn für seinen guten Geschmack bewundert,
aber seit er wusste, dass er vier Kollegen auf dem Gewissen hatte, blieb nur
Verachtung für seinen Dandy-Stil übrig. Gessner winkte ihm über den Gang zu und
lief pfeifend Richtung Fahrstuhl. Als er um die Ecke gebogen war, schnappte
sich Paul so schnell er konnte sein Handy. Seine Jacke hatte er bereits in dem
Mietwagen deponiert, den er am Mittag vom Hauptbahnhof geholt hatte. In letzter
Sekunde dachte er noch an Heinkels spezielle Zugangskarte für die Fahrstühle,
die ihm eine Fahrt ohne Unterbrechungen garantierte. Er durfte Gessner nicht
verlieren, und eine Putzkolonne, die ausgerechnet mit ihm das Stockwerk
wechseln wollte, konnte er auf keinen Fall gebrauchen.
Als Paul in der Tiefgarage ankam, stellte er fest, dass Gessner die
Putzkolonnen-Karte gezogen haben musste, denn er hatte ihn locker überholt. Aber
die zweite Kabine kam schnell näher. Paul rannte auf die gegenüberliegende
Seite des riesigen Parkhauses und duckte sich hinter einen Golf. Eines der
wenigen Autos, die über Nacht stehen bleiben würden, und sicher nicht Gessners,
der fuhr ein Cabriolet, soweit Paul wusste. Er hörte sein Herz pumpen und
erwischte sich bei der unsinnigen Frage, ob es laut genug wäre, ihn zu
verraten. Die Tür des Fahrstuhls öffnete sich mit einem dezenten »Bing« und
Gessner trat heraus. Seine schnellen Schritte knallten wie Schüsse auf dem
Betonboden, die Wände des leeren Parkhauses warfen sie als Echo zurück. Paul
rannte gebückt so leise wie möglich in Richtung seines eigenen Wagens, den er
wohlweislich in der Nähe der Ausfahrt geparkt hatte. Zum Glück hatte er sich
heute Mittag Schuhe mit Gummisohlen besorgt, Gessners Ledersohlen machten
selbst aus dieser Entfernung noch einen Höllenlärm. Als Paul bei seinem
Mietwagen, einem grauen Mittelklasse-Kombi, ankam, öffnete er die Tür und
schlüpfte hinter das Lenkrad. Er hatte ein möglichst unauffälliges Auto mit
guter Motorisierung bestellt. Einerseits wollte er nicht auffallen,
andererseits konnte er es auch nicht riskieren, auf der Autobahn von Gessner
abgeschüttelt zu werden. Nur zehn Sekunden später fuhr der Verräter an ihm vorbei
und wartete, bis die Schranke den Weg freimachte. Paul startete den Motor
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