Operation Blackmail
fahlen Mondlicht ihrer Beute nachstellte. Leonid mochte
den Winter, und hier am See schien die Luft besonders klar, es roch nach Harz
und ganz leicht nach gefrorenem, moderigem Laub. Es war ein schöner Abend für
einen Spaziergang, vermerkte er, wenngleich er ob seines mörderischen Vorhabens
deutlich unschöner enden würde. Sofern sein Plan aufging.
Stundenlang hatte er, verborgen von den sich ständig bewegenden
Zweigen, am See gesessen, immer wieder seine Position gewechselt, damit das
Sonnenlicht keine verräterische Spiegelung von seinem Fernglas gen Schloss
senden konnte. Beinahe den ganzen Tag hatte er gebraucht, um die komplexe
Routine der Wachmannschaften zu durchschauen. Aber wie sorgfältig auch immer
Soldaten ihre Patrouillen und Wachablösungen zu tarnen versuchten â wenn man
lange genug hinschaute, erkannte man immer ein Muster. Um fünf Uhr nachmittags
hatte er geglaubt, einen winzigen Kratzer in der scheinbar perfekten Oberfläche
ihrer BewachungsmaÃnahmen entdeckt zu haben. Die Lücke war minimal, es würde
auf Bruchteile von Sekunden ankommen. Sieg oder Niederlage. Aber er musste es
versuchen, für die Zukunft seiner Tochter und seines Enkels.
Um 00:42 erreichte Leonid die Stelle, an der er den Waldweg
verlassen und sich durch unwegsames Gehölz bis zum Seeufer vorarbeiten musste.
Sein Tempo würde sich dadurch enorm verlangsamen, vor allem, weil er diesen
Uferbereich aufgrund des besonders dichten Baumbestands ausgesucht hatte. Der
Pulverschnee verbarg Wurzeln und andere Stolperfallen unter einer harmlosen
weiÃen Decke. Und mit einem gebrochenen Knöchel brauchte er sein Vorhaben nicht
einmal zu beginnen. Sein Plan fuÃte auf einem unbemerkten Infiltrieren des
Schlosses, und das würde schon ein kleiner Knacks vereiteln.
Zu seiner Erleichterung erreichte er das Ufer bereits um 00:51,
satte neun Minuten vor seinem Zeitplan. Leonid freute sich, dass er sich bei
seinen wichtigen Vorbereitungen nicht hetzen musste. Er setzte den Rucksack auf
den Boden, stellte sich hinter einen groÃen Baum und steckte sich eine
Zigarette an, peinlich genau darauf bedacht, dass man Flamme und Glut vom
Schloss nicht sehen konnte. Es würde die letzte für eine lange Zeit sein. Bei
jedem Einsatzplan, den Leonid in den zwanzig Jahren seiner Laufbahn
ausgearbeitet hatte, gab es diese letzte Raucherpause. Wie beim Start eines
Flugzeugs, bei dem die Piloten die exakte Geschwindigkeit berechnen, bis zu der
sie sich noch für einen Abbruch entscheiden können. Danach gibt es kein Zurück
mehr. Für Leonid war diese Zigarette der Moment, ab dem Umkehren unmöglich war.
Point of no Return, wie es in der Pilotensprache hieÃ, und die letzte
menschliche Schwäche, die er sich erlaubte, bevor er unnachgiebig auf sein Ziel
zustreben würde: den Tod des Vorstandsvorsitzenden. Für den finalen Zug lieà er
sich besonders viel Zeit und inhalierte den Rauch tief in seine Lungen. Den
Zigarettenstummel drückte er in den Waldboden und begann damit, sich
umzuziehen. Aus seiner Tasche fischte er zunächst sein Sauerstoffgerät für den
Tauchgang, ein Ambient Pressure Diving Evolution, ein leichtes System mit
geschlossenem Atemkreislauf. Früher waren solche Geräte fast nur beim Militär
anzutreffen gewesen, aber Leonid hatte ein kurzer Ausflug nach Salzburg zu
einem gut sortierten Tauchgeschäft ausgereicht, um ein Modell zu finden, das
dem russischen IDA-71 ähnelte. Das IDA kannte er seit seiner Ausbildung, und
die moderne westliche Variante unterschied sich kaum von seinem russischen
Pendant. Er prüfte die Funktionsfähigkeit, nahm ein paar Züge Luft aus dem
Mundstück. Anders als bei herkömmlichen Geräten, wurde bei einem geschlossenen
Atemkreislauf kein Gas an die Umgebung abgegeben. Regulären Tauchern ging es
dabei vor allem um Effizienz, Leonid wollte jedoch vor allem die aufsteigenden
Luftblasen vermeiden, die ihn sofort verraten würden.
Hinter dem groÃen Baumstamm, der ihm schon für seine letzte
Zigarette als Versteck gedient hatte, tauschte er seine schwarze Kleidung gegen
einen Halbtrockenanzug aus Neopren, der ihn in dem eiskalten Wasser des
Fuschlsees ausreichend wärmen würde. Der Anzug besaà auch eine Kapuze, die er
überstreifte, bevor er Taucherbrille, Handschuhe und Flossen anlegte. Seine
Einsatzkleidung und seine Waffen verstaute er in einem kleinen wasserdichten
Rucksack und
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