Operation Schneewolf - Meade, G: Operation Schneewolf - Snow Wolf
verwirrender. Ebennoch bin ich in Paris, im nächsten Moment werde ich in einer stinkenden Zelle in Moskau gefoltert, und einer meiner Hoden wird beinahe zerquetscht. Und dann, als Krönung, werde ich von einem einarmigen, abtrünnigen KGB-Major befreit, der meinen Schutzengel spielt. Das Leben kann einen mit seinen Überraschungen manchmal ganz schön in Atem halten.«
»Wo ist Lukin jetzt?«
»Er wartet draußen am Fluß auf Sie. Er sagt, daß er dringend mit Ihnen reden muß. Es ist angeblich sehr wichtig.« Lebel deutete auf den Aktenordner. »Aber Sie müssen erst das da lesen. Ich soll Ihnen noch etwas ausrichten: Dieser Major Lukin hat herausgefunden, warum er ausgewählt wurde, den Wolf zur Strecke zu bringen. Was auch immer das bedeuten mag.«
Slanski schaltete verwirrt die Taschenlampe an und schlug den Ordner auf.
Lebel drehte sich zu Anna um. »Sie müssen einer meiner Passagiere sein, richtig? Ich fürchte, daß wir von Glück reden können, wenn wir nach dem heutigen Abend aus Moskau herauskommen, ganz zu schweigen davon, wie wir es bis Finnland schaffen sollen. Es sieht ziemlich hoffnungslos aus.«
Bevor Anna etwas sagen konnte, stöhnte Massey auf. Er verlor immer mehr Blut. Anna legte ihm eine Hand auf die fiebrig heiße Stirn, beugte sich über ihn und flüsterte: »Stirb nicht, Jake, laß mich nicht allein.«
Plötzlich zuckten Masseys Lider, und er öffnete die Augen. »Anna …« Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
»Beweg dich nicht und sprich nicht, Jake. Bleib ganz ruhig.«
»Anna … Verzeih mir …«
»Nicht reden, Jake, bitte.«
Massey hustete und spuckte Blut. Es lief ihm das Kinn herunter. Er schloß die Augen, und sein Kopf sank schwer zur Seite. Anna hatte Tränen in den Augen, als sie Slanski anschaute. »Meine Güte, Alex, kannst du denn nichts tun?«
Doch Slanski hörte ihr gar nicht zu. Er stand da und las in dem Ordner. Sein Gesicht hatte einen merkwürdigen Ausdruck, und er wurde immer blasser – blasser, als Anna ihn jegesehen hatte. Und er schwieg, während er ein Foto in der Hand hielt und es wortlos anstarrte.
Anna schrie Lebel an: »So tun Sie doch etwas!«
Lebel kam näher und fühlte Masseys Puls, als Irina hereinkam. Sie trug einen Zinkeimer, in dem Wasser schwappte.
»Das ist alles, was ich gefunden habe. Es ist aus einem Überlauffaß.«
Lebel blickte auf und ließ Masseys schlaffen Arm fallen.
»Ich fürchte, es ist Zeitverschwendung. Massey ist tot.«
Es hatte wieder zu schneien angefangen, und der vereiste Fluß wirkte in der Dunkelheit gespenstisch weiß.
Hinter den Silberbirken am anderen Ufer sah Lukin die Lichter von Moskau. Aus der Ferne blinkte der rote Stern auf dem Kreml wie ein Leuchtfeuer durch den dichten Schneefall. Slanski saß neben ihm. Dieser Moment besaß eine Zeitlosigkeit, die für beide Männer ergreifend war. Slanski wirkte immer noch schockiert und hielt den Ordner in der Hand. Er war zum Ufer gegangen, vorsichtig, bis er Lukins verwirrten Blick bemerkt hatte, als sie sich anschauten. Dieser Blick machte ihm klar, daß er nichts zu befürchten hatte. Lange saßen die beiden Männer schweigend nebeneinander. Schließlich brach Lukin die Spannung und das Schweigen. »Dein Freund …Wird er es schaffen?«
»Er ist tot.«
»Das tut mir leid.«
»Wir müssen alle sterben. Dagegen kann man nichts ausrichten.«
Lukin blickte Slanski eindringlich an. »Hast du den Ordner gelesen?«
»Ja.«
»Und glaubst du, was du gelesen hast?«
»Ich hatte meine Zweifel, aber jetzt … Wenn ich dich aus der Nähe anschaue, dann glaube ich es. Und nach dem, was Lebel mir erzählt hat, hast du sein Leben gerettet, und unseres auch. Du hättest all diese Schwierigkeiten nicht auf dich genommen, würdest du es nicht ernst meinen.«
Lukin schaute nach vorn auf den Fluß. »Wer hätte dasgedacht? Jetzt weißt du, warum man mich ausgewählt hat, dich zu jagen und zu töten. Ein perverser Witz Stalins. Hetze Bruder auf Bruder. Blut gegen Blut.« Er holte tief Luft und blies eine Atemwolke in die kalte Nacht. Dann schüttelte er den Kopf. »Ich kann es immer noch nicht glauben.«
»Erzähl mir, was in der Nacht passiert ist, als ich das Waisenhaus verlassen habe«, bat Slanski ihn leise. »Erzähl, was danach geschehen ist.«
Lukin schaute ihn an. Er hatte Tränen in den Augen, und seine Stimme war beinah erstickt von Gefühlen.
»Muß das sein?«
»Ich muß es wissen, Petja.«
»Es ist schon lange her, seit jemand mich so genannt hat.
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