Operation Schneewolf - Meade, G: Operation Schneewolf - Snow Wolf
gelähmt. Lebel überlegte krampfhaft. Der Mann mit dem schmalen Gesicht spielte mit ihnen, weil er vermutete, daß irgend etwas nicht stimmte. Klaras dunkles Haar und ihr Gesicht wirkten jüdisch. Sie schminkte sich zwar sehr geschickt, um ihre Gesichtszüge zu verfremden, doch Lebel hatte sich oft gefragt, ob das ausreichte.
Der Gestapomann wandte seinen Blick nicht von Klara ab. »Nun, Frau Claudel? Was fehlt Ihnen? Haben Sie Ihre Zunge verschluckt?«
Lebel versuchte sein Heil in der Frechheit.
»Also wirklich, Herr Offizier«, unterbrach er den Mann. »Die Gesundheit meiner Frau geht Sie nichts an. Wir sind beide aufrechte französische Bürger. Und wenn Sie es unbedingt wissen müssen: Meine Frau leidet an einer Nervenkrankheit.Ihre Aufdringlichkeit beruhigt Sie nicht gerade. Wenn Sie also so nett wären, uns unsere Ausweise zurückzugeben, sobald Sie damit fertig sind.« Herausfordernd streckte er die Hand aus und versuchte, ihr Zittern zu unterdrücken.
Der Gestapomann schnaubte verächtlich, bevor er die Papiere langsam zurückgab.
»Entschuldigen Sie, Herr Claudel!« sagte er höflich. »Hoffentlich bessert sich der Zustand Ihrer Gattin bald. Genießen Sie Ihren Kaffee und Ihren Kuchen.«
Die Gestapoleute verließen das Café. Lebel konnte die Erleichterung und das Triumphgefühl kaum verbergen, das er empfand.
Aber es hielt nicht lange vor.
Sie kamen noch am selben Abend.
Lebel hörte das Quietschen der Reifen in der Straße unter ihrer sicher geglaubten Wohnung, hörte das Hämmern der Fäuste an der Tür. Als er das Licht einschaltete und nach der Waffe tastete, die er unter dem Kopfkissen versteckte, flog die Schlafzimmertür aus den Angeln.
Ein halbes Dutzend Männer in Zivil stürmte den kleinen Raum. Der Gestapomann aus dem Café vorneweg. Sein Gesicht glich einer höhnischen Fratze.
Er schlug Lebel mit seiner behandschuhten Faust ins Gesicht. Dann lag der Franzose auch schon am Boden, während sein Widersacher wie von Sinnen auf ihn eintrat.
Als sie ihn rüde hochzerrten, waren zwei Rippen gebrochen und Lebels Schulter ausgerenkt. Die anderen Männer durchsuchten bereits die Wohnung und verwüsteten die Zimmer. Lebels Frau schrie ununterbrochen, als sie aus dem Bett gezerrt und nach unten geschleppt wurde.
Alles, woran er sich danach erinnerte, war von Schmerz und Entsetzen getrübt. Den folgenden Alptraum konnte Lebel nie vergessen. Die Trennung von Klara. Das brutale Verhör in den Kellern der Gestapo in der Avenue Foch. Die Augenblicke, als sie ihm sagten, daß seine Frau zur ›Umerziehung‹ nach Polen geschickt worden sei. Da wußte er, was ihr bevorstand.
Eine Woche lang folterte die Gestapo ihn und versuchte, Informationen über seine Arbeit in der Résistance aus ihmherauszuquetschen. Doch trotz der Schläge, der Folter, der schlaflosen Nächte hielt er durch und verriet ihnen nichts. Zwei Tage später verfrachtete man ihn auf einen Viehtransport ins Vernichtungslager Auschwitz. Dort erduldete er zwei lange Jahre schmerzhaftester Demütigungen und überlebte nur dank seines zähen Willens und seiner starken Physis.
Und hier lernte er auch Irina Dezowa kennen.
Sie war jung, Ende Zwanzig, und Fahrerin in der Roten Armee gewesen. Man hatte sie gefangengenommen und mit einem Konvoi abgerissener russischer Gefangener hierhergeschickt. Sie arbeitete in dem Lagerhaus, wo auch Lebel die Kleider der Menschen aus den Viehtransporten durchsehen mußte, die als Gefangene ins Lager geschickt wurden. Irina Dezowa war eine hübsche Frau, und trotz der entsetzlichen Bedingungen in dem Lager steckte sie voller Humor und Lebensfreude. Sie hatte eine besondere Schwäche für den verbotenen Wodka, den die Gefangenen heimlich brannten. Doch obwohl Lebel fließend Russisch sprach, wechselte er in den beiden Monaten, die sie zusammen arbeiteten, kaum ein Wort mit ihr. Bis zu dem Tag, da er Gewißheit über das Schicksal seiner Frau erhielt.
Seit seiner Ankunft in Auschwitz machte ihn die Ungewißheit, was mit Klara passiert war, beinahe verrückt. Als er erfuhr, daß zwei Tage vor seiner eigenen Ankunft eine Wagenladung französischer Juden eingeliefert worden war, gab er einer Blockwartin in der Frauengruppe, mit der er sich angefreundet hatte, Klaras Namen und eine Beschreibung und bat sie um Hilfe.
Eine Woche später kam die Frau zu ihm und bestätigte seine schlimmsten Befürchtungen. »Ihre Frau wurde noch an dem Tag vergast, an dem sie angekommen ist. Danach hat man sie verbrannt. Es tut
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