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Opernball

Opernball

Titel: Opernball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Haslinger
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willst«, sagte ich schließlich, »trinke ich ein Glas mit Dir.« Er schien meine Antwort gar nicht zu beachten. Mittlerweile hatte er eine andere Tür des Einbauschranks geöffnet. Zu sehen war ein beleuchtetes Fach mit verspiegelter Rückseite. Im oberen Regal standen Gläser, im unteren Schnapsflaschen zuhauf. Der Geringste ergriff zwei Gläser.
    »Eis?« fragte er noch einmal.
    »Ja, Eis«, sagte ich. Er ging in die Küche. In einem unteren Ablagefach des Glastischchens neben meinem Fauteuil lagen Tageszeitungen und Wochenzeitschriften und obenauf, sofort ins Auge stechend, ein Luftpostbrief aus Florida. Den Absender konnte ich nicht lesen, er war in einem gleichmäßigen Auf und Ab der Linien und ohne Schlingen geschrieben, so daß man die Buchstaben schwer entziffern konnte. Ich drehte das Kuvert um. Es war adressiert an Major Leitner. Als ich die Eisschranktür zufallen hörte, griff ich schnell unter den Tisch und drehte das Kuvert so, wie es gelegen hatte. Doch da stand der Geringste schon neben mir.
    »Der Brief ist für mich. Major Leitner ist der Name meiner Postadresse. Unter Steven Huff bekomme ich nur Post, die ich mir selber schreibe. Major Leitner wohnt übrigens hier im Haus, im zweiten Stock. Das ist seine Gästewohnung. Leitner hat sie sicher verwanzt. Aber ich habe vor ihm keine Geheimnisse. Er liest die Post. Was mir gehört, bringt er mir.« Der Geringste drückte mir das reichlich gefüllte Whiskyglas in die Hand.
    »Auf ein reines Europa!« sagte er und hob dabei sein Glas.
    »Auf ein reines Europa!« antwortete ich. Er wartete, bis ich trank. Einen Moment lang kam mir der Gedanke, es könnte etwas anderes als Whisky sein. Ich blickte den Geringsten an und meinte auf seinem Gesicht einen Anflug von Häme zu erkennen. War ich untragbar geworden, weil ich Feilböck gesagt hatte, was ich mir dachte? Oder wollte er mir beweisen, wie schwach ich war? Ich schloß die Augen und stürzte das Getränk hinunter. Mir war, als würde es mich von der Kehle bis in den Magen aufreißen. Ich konnte kaum atmen. Mein Bauch krampfte sich zusammen. Ich drückte mit beiden Händen fest darauf.
    Der Geringste brachte mir ein Glas Wasser. Ich hatte sechs Stunden nichts gegessen und schon längere Zeit ohne Alkohol gelebt. Der Geringste hatte sein Glas auf den Tisch gestellt, ohne daraus zu trinken. War ich eben bei einer Prüfung durchgefallen? Oder hatte ich bestanden? Der Geringste nahm mir gegenüber auf einem Fauteuil Platz. Er blickte mich an und schwieg. Ich saß da, klein und dumm, und wartete darauf, daß er mich aus meiner Verlegenheit erlöste. Doch er tat es nicht.
    »Und was geschieht mit Feilböck?« fragte ich schließlich.
    Der Geringste antwortete leise und schob dabei das Whiskyglas hin und her. »Leitner war für Auslöschung«, sagte er. »Er hält Feilböck für gefährlich. Ich habe Leitner widersprochen. Einem Mann der ersten Stunde, habe ich gesagt, muß man eine Chance geben. Wir löschen nur seine Runen, nicht sein Leben. Er hat die Wahl, seine Runen wiederzuerringen, oder zu verschwinden.«
    »Ist das nicht zu großzügig?« fragte ich. »Er wollte Dich entmachten.«
    »Man kann mich nicht entmachten. Ich habe keine Macht.«
    »Aber Feilböck... «
    »Ist ein gefallener Engel. Wir nehmen nur den Finger. Nach Feilböcks Bestrafung sind die Treffen im Ariton-Benya-Park beendet. Und zu Mittag wird wieder getrennt gegessen. Der neue Engel, der alles überwacht und für Ordnung sorgt, bist Du.«
    »Ich?« fragte ich mit kaum verhohlener Freude.
    »Du. Deine erste Aufgabe: die Bestrafung Feilböcks vorbereiten.«
    Er ging hinaus und schüttete seinen Whisky in den Abwasch. Ich ging nach.
    »Wer ist Leitner?« fragte ich.
    Da er mir nicht gleich antwortete, fuhr ich fort: »Ist das der Polizeijurist, nach dem wir verlangen sollen, wenn wir verhaftet werden?«
    Der Geringste stülpte das Glas auf den Abtropfständer. »Wir werden uns zwar jetzt häufiger sehen«, sagte er. »Aber es ist besser für Dich, wenn Du nicht alles weißt. Nur so viel: Leitner war nach dem Gürtelhausbrand mit meiner Zielfahndung beauftragt. Er hat mich in Florida ausgeforscht. Seither sind wir Verbündete. Er ist nicht allein, er hat Helfer.«
    »Wissen Leitner und die anderen von... « Ich wagte es nicht auszusprechen, schließlich hatte der Geringste gesagt, die Wohnung sei verwanzt.
    »Ja, sie stehen bedingungslos dahinter. Ohne sie wäre Harmagedon nicht mehr als ein Wort aus der Apokalypse. Allein könnten wir zwar

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