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Opernball

Opernball

Titel: Opernball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Haslinger
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Stahlkonstruktion, die den Eingang überdachte, stehen sehen.
    »Jesus ist immer bei Dir«, hörte ich ihn sagen. »Er hat Dir gegeben einen Vorschuß an Liebe und Vertrauen. Aber Du hast zu fragen Dich selbst, ist Dein Leben auch würdig? Beten ist nicht Aufsagen von Formeln. Dein Leben muß sein ein Gebet. Einst Du wirst nicht gefragt: Bist Du gegangen regelmäßig in die Kirche? Nein, Du wirst erkannt werden an Deinen Werken.«
    An seinem T-Shirt steckte ein Button mit der Aufschrift »Jesus loves you«.
    »Auch Dich liebt Jesus«, sagte er, als ich, ohne ihn anzusehen, vorbeigehen wollte. Er drückte mir ein kleines Flugblatt in die Hand. Ich ging langsam weiter und las dabei den Zettel. Er trug die Überschrift: » DIE ENDZEIT STEHT BEVOR . Christus sucht seine Streiter für die letzten Tage.« Neben mir ging auf einmal der Geringste. Er sagte leise: »Heute nach Mitternacht, Wohllebengasse 9.«
    Dann sprach er laut: »Von Tag zu Tag werden sie deutlicher und sichtbarer, die Zeichen für die Wende unseres Schicksals, für den Umbruch der Welt. Wir sind gewarnt. Christus will uns geben eine Chance, wir können gehören zu den Auserwählten. Weil Christus liebt uns. Wir müssen uns entscheiden, ob wir für ihn oder gegen ihn... «
    Ich schüttelte den Kopf und beschleunigte meinen Schritt: »Lassen Sie mich in Ruhe mit Ihrem Christus!« Der Geringste blieb stehen und verteilte seine Zettel an andere.
     
    Die kleine, ebenerdige Wohnung war im Stil der sechziger Jahre eingerichtet. Das Wohnzimmer war ausgefüllt mit einer für den Raum viel zu großen braunen Sitzgarnitur. Zwei Wände waren mit einem um die Ecke verlaufenden Einbauschrank verdeckt, in dessen freien Öffnungen ein Fernsehapparat, ein Videorecorder und eine Stereoanlage standen. Ich saß im Fauteuil und versuchte, die Inschriften auf den Rücken der in mehreren Regalen übereinander aufgereihten Bücher, Schallplatten, CDs, Audio- und Videokassetten zu entziffern. Lexika, Computerfachbücher, Kunstbände, die Bibel, das »Buch Mormon«, »Das neue irdische Paradies«, Bücher über Architektur, noch eine Bibel, klassische Musik, Volksmusik, esoterische Musik, gregorianische Choräle, jeweils ein Stapel der Zeitschriften »Spiegel«, »Time« und »Geo«, die Zeitschrift »Exekutive« und das Gewerkschaftsblatt. Im Nebenraum, der durch eine offene Flügeltür einsehbar war, stand ein Doppelbett. An der Wand gegenüber ein Schreibtisch mit Fax-Gerät, Computer und dem Ladegerät für das Funktelefon, das im Bett lag. Neben dem Schreibtisch stand das kleine, drehbare Bücherregal. Alles war irritierend normal. Ich hatte von einer sogenannten Untergrundwohnung völlig falsche Vorstellungen gehabt. Ich hatte mir etwas Schlimmeres als die Kellerbehausung des Geringsten am Lerchenfelder Gürtel vorgestellt, womöglich nur durch einen dunklen Gang mit Taschenlampe zu erreichen. Der Geringste sagte: »Hier wohnen manchmal Polizeibeamte. Vor allem Besucher aus den Bundesländern und aus dem Ausland. Ich habe noch Ausweichquartiere.«
    »Polizeibeamte?«
    Er öffnete einen kleinen Kühlschrank, der in den Wandverbau eingelassen war, und nahm eine Flasche Whisky heraus.
    »Eis?« fragte er.
    Seit seiner Wiederkehr hatte es bei keiner einzigen Zusammenkunft Alkohol gegeben. An der Baustelle hatte der Polier gelegentlich ein Bier getrunken. Aber nur eines, was für seine Verhältnisse einem großen Verzicht gleichkam. Und in letzter Zeit schien es mir, als hätte er überhaupt zu trinken aufgehört. Der Blade trank an der Baustelle ohnedies nicht. Bei mir im Bürocontainer wurde normalerweise nur Kaffee getrunken. Manchmal, nach Neuabschlüssen, gab es auch Sekt. Aber das kam selten vor. Weil lukrative Verträge meist im Verwaltungsbüro oder in Anwaltskanzleien unterzeichnet wurden. Wenn es Sekt gab, füllte ich mir zum Anstoßen das Glas halb ein. Ich nippte ein paarmal daran, ohne wirklich zu trinken. Mit Kaffee hatte ich aufgehört, ohne daß es irgend jemand bemerkt hätte. Seit Feilböck sich auflehnte und eines Tages im Restaurant demonstrativ Kaffee bestellte, tranken wir auch beim Mittagessen keine Gespritzten mehr. Sein Ausscheren machte uns den Verzicht leichter.
    Und jetzt bot mir der Geringste Whisky an, als hätte nicht er selbst das Alkohol-Verbot erlassen. War es eine Prüfung? Wollte er einfach testen, ob ich in jeder Situation der Aufgabe der Entschlossenen gewachsen war? »Eis?« hatte er gefragt. Darauf mußte ich eine Antwort geben.
    »Wenn Du

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