Opernball
kommt er in unsere Gasse. Den werde ich ein bißchen ausreizen.«
Dann schrieb er auf den Bildschirm: »Leitner kann aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mitlesen. Unsere Computer sind nicht direkt, sondern nur über das internationale Netz verbunden. Leitner hat keinen Zugang zum Betaalternatemailing. Das entsprechende Modem habe ich selbst angeschlossen. Als ich es ihm gezeigt habe, hat er geantwortet: Mir ist das alles noch zu wild, kümmere Du Dich darum. Leitner ist nicht im Netz. Ich kenne die Handschrift seines Computers.«
Da es im Hinblick auf Harmagedon nicht ratsam erschien, alte internationale Kontakte zu erneuern, machten wir uns im Beta-Netz, das uns ohnedies schon vertraut war, auf die Suche nach einem möglichen Versteck für Feilböck.
Das Betaalternatemailing wurde gerade in einigen europäischen Staaten als Alternative zu den von Amerika dominierten internationalen Netzen aufgebaut. Es hatte wahrscheinlich noch nicht einmal 10 000 Teilnehmer und wurde vor allem von den europäischen Grünparteien finanziert. Am stärksten waren die Deutschen darin vertreten. Der Geringste hielt es für wichtig, von Anfang an dabeizusein. Wir tauchten unter Mormon 1 bis Mormon 7 auf. Im Beta-Netz brachten wir die Idee des Tausendjährigen Reichs in Umlauf und mußten uns rabiate Kritik gefallen lassen: Nazis raus aus dem Netz! Kein Platz für Nazis! Aber wir beharrten auf unserem Standpunkt. Mormon 4 war unser vehementester Verteidiger. Wir schrieben die Mailings abwechselnd: »Die Idee des Tausendjährigen Reichs ist viel, viel älter als Hitler. Daß er uns diese Idee stehlen wollte, ist um so mehr Grund, sie zu retten. Steht zusammen, Ihr Gerechten, denn nur Ihr habt Einlaß ins Tausendjährige Reich!«
Darauf hagelte es wieder Proteste. Aber nach und nach meldeten sich die ersten fremden Verteidiger. Das Tausendjährige Reich war bald eines der am häufigsten diskutierten Themen. Schließlich kamen uns sogar Religionswissenschaftler zu Hilfe. Eine Theologin aus Tübingen schrieb, das Tausendjährige Reich sei ursprünglich eine jüdische Idee, die das frühe Christentum übernommen habe. Mormon 4 antwortete: »In unserem Tausendjährigen Reich wollen wir nur Gerechte und keine Juden.« Das war die Handschrift von Feilböck. Daraufhin war eine Nacht lang wieder der Teufel los.
Über das Beta-Netz fanden wir schließlich einen möglichen ersten Fluchtplatz für Feilböck. Ein Bühnenbildner aus Bremen, oder einer, der sich Bühnenbildner nannte, bot ein einsam gelegenes Objekt auf Mallorca für mindestens ein halbes Jahr zur Miete an.
»Ideal für Künstler und solche, die es werden wollen«, hatte er dazugeschrieben. Ich rief ihn aus einer Telefonzelle an. Das Objekt gehöre nicht ihm, sondern einer Literaturprofessorin aus Hannover, die aber keinen Zugang zum Beta-Netz habe. Er beschrieb das Haus. Eine alte Finca in der Nähe von Santanyi, aus Steinen erbaut, inmitten von Mandelbäumen gelegen, etwa zehn Kilometer vom Meer entfernt, gut ausgestattet, mit Moped und Fahrrad inklusive. Erreichbar sei das Haus nur über einen kilometerlangen Feldweg. Ich sagte, ich sei in zwei Wochen zufällig in Palma und wolle mir die Finca gerne anschauen. Wie ich zum Schlüssel komme und wie ich den richtigen Weg finden würde. Er sagte: »Die Finca ist immer offen.«
Dann beschrieb er mir ausführlich den Weg. Als ich ihn fragte, ob sich überhaupt niemand um das Haus kümmere, sagte er: »Es gibt eine Frau in Santanyi, eine Deutsche, die gelegentlich nach dem Rechten sieht.«
Er gab mir ihren Namen und ihre Adresse. Ich versprach, mich nach der Besichtigung, die sich unter Umständen um ein paar Wochen verzögern könnte, wieder zu melden.
Als ich das dem Geringsten in den Computer schrieb, nahm er aus der Schreibtischlade ein gefüttertes Kuvert und gab es mir. Es enthielt hundert Fünftausender, also insgesamt eine halbe Million. Er schrieb zurück: »Für die in nächster Zeit anfallenden Spesen. Die Finca wird sofort gemietet und im voraus bezahlt.«
An einem Freitagnachmittag wollte ich, bevor ich zu Feilböck ging, den Geringsten am Karlsplatz treffen. Ich hatte das schon zweimal zuvor gemacht. Normalerweise war er um diese Zeit dort. Die Treffen gingen so vor sich, daß ich ihm kurz beim Predigen zuhörte und dann langsam weiterging. Er folgte mir und sprach mich, wenn er die Luft für rein hielt, zehn Minuten später an. Dann konnten wir im Gehen ein paar Worte wechseln.
Diesmal war er nicht da. Ich
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