Opernball
schaute mich um, beobachtete die Obdachlosen und Drogenhändler, die Jugendlichen, die in Gruppen zusammenstanden und rauchten. Einige von ihnen waren ziemlich schwach auf den Beinen. Sie fielen anderen um den Hals oder setzten sich auf den Boden. Dann hatte ich keine Zeit mehr, weil ich in den Schwarzenbergpark gehen mußte.
Feilböck gab noch immer nicht auf. Er war vorsichtiger geworden und weniger drängend, aber immer noch versuchte er, uns auf seine Seite zu bringen. Er hatte vorgeschlagen, daß wir uns künftig im Schwarzenbergpark treffen sollten. Der sei öffentlich nicht zugänglich. Er habe sich aber gegen eine Jahresgebühr den Schlüssel geholt und könne uns aufsperren. Im Schwarzenbergpark standen hohe Bäume und Sträucher. Es gab sogar einen kleinen Teich. Man traf nur wenige Menschen, auch hier vor allem Mütter mit Kindern. Aber die Anlage war so geräumig, daß wir keine Mühe hatten, einen ungestörten Platz zu finden.
Feilböck hatte einen Rucksack mitgebracht, prallvoll. Er breitete ein Tuch aus und plazierte auf mehreren Holzbrettern genüßlich Schinken, Salami, Blutwurst, Käse, Brot, Paprika, Radieschen und Paradeiser. Nicht einmal Salz und Kren hatte er vergessen. Zuletzt nahm er aus dem Rucksack vier Dosen Bier und stellte sie in die Mitte. Wir begannen zu essen. Die Bierdosen blieben zunächst stehen. Schließlich sagte der Blade: »Ein Picknick ohne Bier wäre zu auffällig.«
Er nahm eine Dose und öffnete sie. Sein Adamsapfel hüpfte beim Trinken auf und ab. Dann atmete er stöhnend aus.
»Es ist prachtvoll«, sagte er und schüttelte sich plötzlich vor Lachen. Noch nach Luft ringend, erklärte er uns: »Eigentlich wollte ich sagen: Es ist vollbracht.«
Es dauerte nicht lange, bis auch wir unsere Bierdosen öffneten.
»Heil Hitler«, sagte Feilböck.
»Heil Hitler«, antwortete der Polier. Da lachten wir alle. Feilböck erinnerte uns daran, wie wir einer vermeintlich südamerikanischen Hure einen Intimspray verabreichen wollten. Wir nannten das nur so. In Wirklichkeit wollten wir ihr eine Flasche Coca-Cola in die Möse spritzen. Als wir sie ansprachen, sagte sie in breitestem Wiener Dialekt: »Seids deppert. I nimm nua a Burli aufs Zimma.«
Druckeberger sagte zu ihr: »Brauchst einen Nasenspray?«
Sie kannte sich nicht aus. Wir schnappten sie. Feilböck hielt ihr den Mund zu. Druckeberger schüttelte die Flasche und setzte ihr die Öffnung an die Nase. Sie hustete den braunen Saft zwischen Feilböcks Fingern heraus. Eine andere Hure, die das beobachtet hatte, schlug Alarm. Wir liefen quer durch den fünfzehnten Bezirk zum Westbahnhof.
Der Blade meinte: »Mich habt Ihr abgehängt, Ihr Schweine. Fast hätten mich die Zuhälter erwischt.«
Feilböck gab ihm zur Antwort: »Du hast eben schon immer zuviel Bier getrunken.«
Es stellte sich heraus, daß Feilböck für jeden noch eine zweite Dose mitgebracht hatte. Zwischendurch, während wir aßen, tranken und lachten, wurde mir klar, daß es für Feilböck, ohne daß er es wissen konnte, eine Art Henkersmahlzeit war. Ich ließ mir jedoch nichts anmerken. Harmagedon und der Geringste wurden von Feilböck an diesem Nachmittag nicht einmal erwähnt.
Als ich fortging, sagte ich: »Feilböck, wir treffen uns nicht mehr.«
Er antwortete: »Niemand hat Dich gezwungen zu kommen.«
In der Nacht erfuhr ich, warum ich den Geringsten am Karlsplatz vergeblich gesucht hatte. Er sagte, ohne auf die Wanzen seines Zimmers Rücksicht zu nehmen: »Leitner hat keinen Charakter. Er hat einem Polizeispezialisten für Sekten mitgeteilt, daß ich vorübergehend bei ihm zur Untermiete wohne. Er möge mich überprüfen. Und das geschah heute nachmittag. Der Spezialist stellte sich eine Spur zu plump an. Zuerst wollte er mich auf eine Tasse Kaffee einladen, dann auf Tee, schließlich bot er mir sogar eine Zigarette an. Das einzige, was ihn gestört haben dürfte, waren meine langen Haare. Ich sagte, ich sympathisiere mit den Reorganisierten Mormonen, die auf Joseph Smiths Sohn zurückgehen. Die dürfen die Haare, so wie früher die anderen Mormonen auch, lang tragen. Der Spezialist kannte die Reorganisierten nicht einmal. Leitner will sich nach allen Richtungen absichern.«
Dann wechselte der Geringste abrupt das Thema. Er fragte mich, ob ich schon einen Ort für die Sühnekommunion wisse. Ich bejahte.
»Geht es schon am Sonntag?« fragte er. Er wollte nach dem, was ich ihm vom Nachmittag erzählt hatte, nicht mehr warten.
»Ja«, antwortete ich.
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