Opernball
Spektakel dabeisein würden. Von da an bedurfte es keiner Einladungen mehr. Schon Anfang November war die Oper offiziell ausverkauft. Die Warteliste wurde täglich länger. Für spezielle Gäste gab es ein Reservekontingent an Logen und Tischplätzen. Die Opernballdame, die in früheren Jahren für den Ablauf verantwortlich gewesen war, achtete darauf, daß die traditionellen Ballgäste auch diesmal zu ihren Karten kamen.
Einer meiner Mitarbeiter hatte sich mit einem Team nach Sarajewo begeben, wo, trotz mittlerweile stationierter UNO-Truppen, erneut Kämpfe ausgebrochen waren. Eine Kollegin schickte ich nach Mostar. Nicht weil es dort, außer ein paar Wohnhäusern auf der Westseite, noch etwas zu zerstören gegeben hätte. In Mostar wurde, trotz der neuen Gefechte ringsum, unter der Leitung eines Deutschen der Wiederaufbau geplant. Mein Instinkt sagte mir, das könne nicht gutgehen. Einen neu eingestellten Mitarbeiter schickte ich in den Kaukasus, um erste Recherchen anzustellen. Die eigentliche Reportage nahm ich mir als erstes Projekt nach dem Opernball vor.
Von Redaktionskonferenzen und internen Problemen abgesehen, konnte ich mich darauf konzentrieren, für den 21. Februar, den Ballabend, ein Regiekonzept zu erstellen. Wie viele Kameras werden wir brauchen? Wo werden wir sie aufstellen? Wer leitet die Technik? Wie viele Mitarbeiter braucht er? Wie viele Sendewagen? Welche Gesellschaftsreporter sind für den Ballabend einsetzbar, ohne daß es peinlich wird? Wer muß unbedingt interviewt werden? Welche Einspielungen sind vorzubereiten? Welche Reisen zu organisieren? Das TV-Publikum will den Leuten nicht einen Abend lang beim Tanzen und Reden zuschauen. Wenn eine Prinzessin interviewt wird, will man auch ihr Schloß sehen, ihr Personal und, wenn möglich, ihr Badezimmer. Man will sehen, wie sie sich für irgend etwas Karitatives einsetzt, für Kriegskinder, oder Pelztiere. Hinzu kamen gewisse Vorgaben aus Paris. Woche für Woche wurde die Sendezeit zugunsten von Werbeeinschaltungen eingeschränkt.
Ein deutscher Getränkefabrikant, beim Opernball angeblich Stammgast, hatte sich gleich in alle Werbeblocks eingekauft. Mit einer Bedingung: Er wollte beim Ball auch interviewt werden. Die Firma trug seinen Namen. Ich sagte: »Das mache ich nicht. Wir zerstören unser Image.«
Aber die Millionen wogen schwer. Ich mußte mir einen Ausweg einfallen lassen. Schließlich fragte ich Fred. Er lachte mich aus. Dann antwortete er: »Ganz einfach. Ihr bestellt einen echten Interviewpartner in seine Loge und erwähnt während des Gesprächs der Höflichkeit halber auch den daneben sitzenden Gastgeber.«
Die Idee war gut. Ich rief den Präsidenten der Industriellenvereinigung an. Er fühlte sich geehrt, daß wir ihn beim Opernball, trotz der Anwesenheit so prominenter ausländischer Gäste, interviewen wollten. Der Getränkefabrikant wiederum freute sich, daß wir ihm die Bedeutung eines Mannes verpaßten, bei dem die höchsten Industriebosse ein und aus gehen.
Besonders hatte ich auf den europäischen Kontext zu achten. Mir fehlte Prominenz aus Skandinavien und Großbritannien. Der Prince of Wales hatte absagen lassen. Auch hier hatte Fred eine gute Idee. Er meinte: »Wer Lord Darlington nicht zum Sprechen bringt, hält sich an seinen Butler, Mr. Stevens.«
Wer war der Mr. Stevens des englischen Königshauses? Diane Spencer? Sarah Ferguson? Oder gar Princess Margaret? Es stellte sich heraus, daß sie alle schon auf dem Opernball gewesen waren und bis heute von der Erinnerung geplagt wurden, fast zertrampelt worden zu sein.
Michel Reboisson hatte anfangs so getan, als würde es reichen, für die Vorbereitung des Opernballabends und den Abend selbst meine Abteilung mit der Klatschabteilung zusammenzulegen. Er mußte seinen Irrtum bald einsehen. Allein um die geplanten Interviews einigermaßen lebendig gestalten zu können, brauchte ich Dolmetscher für acht Sprachen. Sonst wäre die Sendung eine Aufeinanderfolge von englischen Standardsätzen geworden, die sich nur im Akzent unterschieden hätten: »It's nice.« »I'm happy to be here.« »It's a great event.« »A wonderful house.« »I like music and waltz.« Blablabla.
Solcher Sprachmüll war ohnedies kaum zu vermeiden. Aber er konnte durch geschickte Fragen begrenzt werden. Dazu brauchte ich nicht nur versierte Dolmetscher, sondern auch kompetente Reporter. Ich sammelte zusätzliches Personal in anderen Abteilungen des Hauses. Von der Sportabteilung holte ich vor allem
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