Opernball
Noch in der Nacht setzte ich die Verständigungskette in Gang.
Diese verdammte Erinnerung
Seit Fred seine eigene Wohnung hatte, kamen wir gut miteinander zurecht. Nicht, daß wir viel gemeinsam unternahmen, aber wir gingen uns auch nicht aus dem Wege. Gelegentlich trafen wir einander in der Kantine. Er erzählte dann den neuesten Schwachsinn aus seiner Abteilung. Seine Arbeit nahm er nicht ernst. Er lachte darüber. Er betrachtete sie als eine Art Spiel. Sie hatte keinen Zweck, aber gerade das schien ihm daran zu gefallen. Im Grunde hielt er die Abteilung Gesellschaftsreportage für vollkommen überflüssig. Seine Freunde, meist Techniker und Mitarbeiter aus seiner Abteilung, sahen das nicht anders. Sie konnten stundenlang vor sich hin blödeln. Sie redeten, ohne dem, was sie sagten, irgendeine Bedeutung beizumessen.
Manchmal lud mich Fred zum Essen ein. Vielleicht auch, weil er wußte, daß ich guten Wein mitbringe. Wenn ich zum Gruppenwitz seiner Freunde auch kaum etwas beitragen konnte, fand ich doch die Art, wie sie über ETV sprachen, durchaus amüsant. Gleichzeitig war ich aber froh, daß sie nicht in meiner Abteilung arbeiteten. Wenn im Laufe solcher Abende irgendwann das Wort dann doch an mich kam, nahm das Gespräch meist einen ernsteren Verlauf. Fred mochte es nicht, wenn sich alles nur noch um meine Erlebnisse im Irak und in Mostar drehte. Die Versuchung war groß. Wir Kriegsberichterstatter sind die Großwildjäger unter den Journalisten. Selbst diejenigen, die sich damit begnügen, aus der Deckung heraus ihre Bilder zu schießen, wollen spätestens, wenn sie die Beute zu Markte tragen, auch ihr eigenes Abenteurertum und die Gefahr, in die sie sich begeben haben, gewürdigt sehen. Das Berufsethos verlangt jedoch, daß man sich in der Dokumentation mit seiner heilen Haut nicht allzusehr in den Vordergrund drängt, wenn daneben Menschen erschossen werden. Deshalb stehen Kriegsberichterstatter privat unter einem notorischen Erzählzwang. Ich habe das in zahllosen Hotels, in denen wir auf unseren Fronteinsatz warteten, beobachten können. Es braucht nur ein neues Gesicht dazuzukommen, und schon wird dieselbe Geschichte noch einmal erzählt. Wenn dann auch noch der Alkohol die Zuhörer zu einer einzigen Resonanzmasse verschmilzt, ist die Gefahr, sich bis zur Lächerlichkeit zu wiederholen, besonders groß.
So mochte es Fred mit mir ergehen. »Warum sind bloß die anderen nicht so clever wie Du?« Oder: »Soll ich jetzt weitererzählen?« Oder: »Überlebst Du auch dieses Mal?« Das waren kleine Bemerkungen, auf die ich in Freds Anwesenheit immer gefaßt sein mußte. Mir ging es mit ihm nicht viel anders. Es fing schon damit an, daß er meist dasselbe kochte, ein chinesisches Eintopfgericht. Es schmeckte gut, und ich hatte den Eindruck, daß seine Freunde gerade deshalb besonders gern zu ihm kamen, weil sie wußten, was sie erwartete. Die Nachspeise war abwechslungsreicher, weil sie meist jemand mitbrachte. Aber da war noch eine andere Sache, in der sich Fred von mir gar nicht so sehr unterschied. An den hellblau gestrichenen Wänden seines Wohnzimmers gab es nur eine einzige Dekoration, eine Kaktuswurzel aus New Mexico. Sie schien aus dem Rahmen der Schlafzimmertür herauszuwachsen und schlängelte sich zum Fenster. Fred hatte sie so geschickt befestigt, daß nicht zu sehen war, was sie an der Mauer hielt. Immer wieder lieferte sie den Anlaß für Fragen. Und dann erzählte Fred von seiner Heroinsucht und vom Überlebenscamp in New Mexico. Er ging dabei in alle Einzelheiten. Wenn sein deutscher Wortschatz nicht ausreichte, mußte ich dolmetschen. Da konnte es schon vorkommen, daß auch ich einmal zu seinen Zuhörern sagte: »Keine Angst, die Franzosen werden ihn beschützen.« Er nahm mir das nicht übel.
Beruflich war Fred gut vorangekommen. Er arbeitete in der Klatschabteilung mittlerweile als Kameramann. Der Opernball war das erste Ereignis, bei dem wir beruflich zusammenarbeiteten. Sosehr ich mich anfangs dagegen gewehrt hatte, die Sendeleitung zu übernehmen, so sehr klemmte ich mich nun dahinter, daraus etwas Großes zu machen. Um die Einladungen brauchte ich mich nicht mehr zu kümmern. Der Bundeskanzler und der Bundespräsident hatten ihren Protokollstreit zumindest nach außen hin beigelegt. Sie verschickten einen gemeinsamen Einladungsbrief für informelle Logenbesuche. ETV-Paris nannte die ersten Namen von Prinzessinnen, Prinzen, Showstars und Politikern, die beim großen europäischen
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