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Opernball

Opernball

Titel: Opernball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Haslinger
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kam dann der Moment, in dem ich das versteckte Stück Matze suchen durfte. Wenn ich es gefunden hatte, was nicht schwer war, wurde ich mit Geschenken überhäuft, und ich war der glücklichste Mensch, den man sich denken kann.«
    Mein Vater lachte. »Es war eine andere Welt. Ich habe bei den Großeltern ein wenig hineinschnuppern können – dann war sie entschwunden.«
    »Du hättest doch die Tradition in irgendeiner Form wiederaufnehmen können.«
    »Ich bin kein religiöser Mensch. Man kann das nicht nachstellen. Und ohne das heimliche Kipferl am Preßburger Hauptplatz würde jede Spannung fehlen.«
    Es war, als wäre unser Gespräch an eine Glaswand gestoßen, hinter der alles sichtbar, aber nichts mehr benennbar war. Das Besteck kratzte auf den Porzellantellern, die Gläser erzeugten, wenn man sie abstellte, einen ungebührlichen Lärm. Ich hatte unendliche Lust, ein Glas mit Wein zu füllen und es in die Mitte des Tisches zu stellen. Aber gleichzeitig sagte ich mir: Das ist nicht der Augenblick, sich selbst zu beschwindeln.
    Als wir Stilton und Cheddar aßen, beendete meine Mutter das Schweigen.
    »Da Ken es Dir noch nicht gesagt hat, sage ich es. Wir werden im Mai nach Wien kommen. Ken hat wieder eine Einladung erhalten. Diesmal nimmt er mich mit.«
    »Der Kunstminister persönlich hat mich eingeladen«, sagte mein Vater. »Ich soll wieder eine Rede halten. Warte, ich zeige Dir den Brief.«
    »Nein«, sagte ich. »Bleib sitzen. Sag mir, was drin steht.«
    »Sie feiern Befreiung und Staatsvertrag gemeinsam. Aber im Brief steht nicht Staatsvertrag, sondern Wiedererlangung der Souveränität. Ich muß Dir das zeigen.«
    Wieder wollte mein Vater aufstehen, wasihm große Mühe machte.
    »Ich hole den Brief. Sag mir, wo er liegt.«
    »Auf dem Schreibtisch.«
    Ich war schon am Hinausgehen, da kam mir ein Gedanke, und ich drehte mich noch einmal um.
    »Kommt doch schon im Februar, zum Opernball. Wenn Ihr gleich zusagt, kann ich Euch noch Karten besorgen.«
    Meine Mutter wäre vielleicht dafür zu gewinnen gewesen. Mein Vater wollte davon nichts wissen. Ich dachte, er habe einfach eine Abneigung gegen den Opernball. Aber als ich in die Bibliothek kam, sah ich neben der Tür ein Metallgestell mit Bädern. Es war eine Gehhilfe. In meiner Anwesenheit benutzte er sie nicht. Seine Knie hatten sich in den letzten Monaten deutlich verschlimmert. Er ging nur mehr ganz langsam.
    »... feiert die Republik den fünfzigsten Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus und den vierzigsten Jahrestag der Wiedererlangung der Souveränität... möchte ich Sie, sehr geehrter Herr Professor Fraser, im Namen der Bundesregierung herzlich einladen, bei der Feier im Konferenzzentrum eine Rede von zehn bis fünfzehn Minuten zu halten. Ich möchte Ihnen nicht verhehlen, daß Sie damit auch einen persönlichen Wunsch von mir erfüllen würden. Der Bundesminister für Kunst.«
    Ich las den Brief zweimal durch, konnte aber nichts Falsches darin finden. Der Staatsvertrag bedeutete ja schließlich die Wiedererlangung der Souveränität. Doch mein Vater vermißte dieses Wort.
    »Früher waren sie so stolz auf ihren Staatsvertrag und haben sich immer darauf berufen, jetzt sprechen sie nur noch von Souveränität.«
    Ich hielt die Formulierung für Zufall. Mein Vater sah schließlich ein, daß ich recht haben könnte.
    Es waren ausgesprochen träge Weihnachtstage. Ich hatte mich schon lange nicht so entspannt. Ich las, schaute fern, ging spazieren und ließ mich verwöhnen. Nach den Mahlzeiten stand mein Vater in der Küche. Ich reichte ihm das Geschirr, er spülte es bedächtig ab und ordnete es in das danebenstehende Drahtgestell zum Trocknen ein. Gelegentlich nahm er einen Teller zurück und wusch ihn noch einmal. Ich schlug vor, eine Geschirrspülmaschine anzuschaffen.
    »Wozu denn?« sagte er. »Ist doch eine schöne Arbeit.«
    Fred war unterwegs, um alte Freunde wiederzusehen. Am Abend kam er zurück und erzählte, daß einer von ihnen an einer Überdosis gestorben sei.
    »Habe ich ihn gekannt?« fragte ich.
    »Ja, Du hast ihn gekannt. Er hatte ein grünes Spinnennetz im Gesicht. Er war es, der mir damals sagte, daß Du mich suchst.«
     
    Zwei Wochen später war Michel Reboisson in Wien. Wir hatten große Dienstbesprechung. Alle, die mit dem Opernballprojekt zu tun hatten, nahmen, soweit sie sich freimachen konnten, daran teil. Michel Reboisson war ein lebhafter, kleiner Mann mit dunklem Teint. Er stand auf, bevor er zu sprechen begann, und

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