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Opernball

Opernball

Titel: Opernball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Haslinger
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wartete, bis alle ihm zuhörten. Seine Worte unterstrich er mit heftigen Hand- und Kopfbewegungen. Er sagte, daß die französischen Politiker nicht davon begeistert seien, Wien zum Drehpunkt Europas zu machen. Deshalb werde außer dem Außenminister niemand kommen. Aber ETV werde das Projekt auch politisch durchziehen. Die Zeit der großen Diplomaten sei vorbei. Heute sei es die Aufgabe der Medien, politische Kontakte herzustellen und Vermittlungsarbeit zu leisten. An einmal geschaffenen Tatsachen komme niemand vorbei, nicht einmal kleinkarierte Politiker.
    Michel Reboisson legte das Sakko ab. Er trug eine auffällige, grell gemusterte Krawatte. Während er stand und sprach, schob deren unterer Zipfel die auf dem Tisch liegenden Papiere hin und her. Ich wartete darauf, bis die ersten Seiten vertauscht wären. Es kam nicht dazu. Er setzte sich, und ich mußte mein Regiekonzept erläutern. Er stellte ein paar Fragen, war aber im großen und ganzen angetan. Er nannte es einen Big Deal. Ich sagte, daß wir in der technischen Abwicklung noch einen Engpaß hätten. Es werde sicher kompliziert werden, vom öffentlichen Rundfunk Kameras und Mischpulte zu leihen.
    »Was immer Ihr noch braucht, könnt Ihr von Paris haben.«
    Damit entschwand er mit unserem Geschäftsführer. Ganz gegen meine Erwartung hielt er eine Einzelbesprechung mit mir offenbar für überflüssig. Ich hätte ihn gerne unter vier Augen gefragt, wie ich mit der rechtsradikalen Partie verfahren soll, mit Bärenthal, Mussolini und Brunot. Sollte ich sie zwischendurch ins Bild bringen, oder einfach ignorieren? Dann dachte ich mir jedoch, vielleicht ist es besser, ich frage ihn nicht. Am Ende muß ich die Wahnsinnigen auch noch interviewen.
    Dennoch sah ich Michel Reboisson ein zweites Mal, und zwar am Abend des nächsten Tages. Ich war mit Friederike Raderer, einer Kollegin von RTL, in einer Bar in der Sonnenfelsgasse verabredet. Sie wollte am nächsten Tag nach Bukarest fahren. Ich sollte ihr die Adresse des Schriftstellers Mircea Dinescu mitbringen, hatte sie aber im Büro vergessen. So fuhr ich um etwa zehn Uhr abends im Taxi noch einmal zum Büro. Vor dem Haupteingang des ETV-Hauses stand ein anderes Taxi. Wir waren von der entgegengesetzten Seite vorgefahren, so daß sich die Scheinwerfer der beiden Autos nun anleuchteten. Im Fond des anderen Wagens saß ein Mann. Vielleicht auch eine Frau. Ich konnte es nicht genau erkennen und achtete beim Aussteigen dann nicht mehr darauf. Der Nachtportier sah fern. Er blickte kurz auf und grüßte. Vor dem Lift mußte ich eine Weile warten. Da ging die Tür auf, und heraus kamen Michel Reboisson und unser Geschäftsführer. Beide wirkten verlegen. Und ich war es auch, weil die Begegnung so unerwartet kam.
    »Sie gehen noch einmal arbeiten?« fragte der Geschäftsführer.
    »Ich habe nur etwas vergessen.«
    »Ja, dann gute Nacht.«
    »Bonne nuit.«
    Im Büro lag auf meinem Schreibtisch die dicke Mappe mit dem Regiekonzept und allen technischen Plänen, darunter auch den Bauplänen der Staatsoper, die ich von der Feuerpolizei erhalten hatte. Ich warf einen Blick in die Mappe und ließ dabei die Seiten an den Fingern vorbeigleiten. Ein zusammengefalteter Bogen, den ich immer wieder für Besprechungen mit der Technik benötigte, hatte, um ihn schnell greifbar zu haben, immer ganz unten gelegen. Es handelte sich dabei um die Schaltpläne der Sendewagen. Nun lagen aber die Baupläne der Staatsoper unten.
    Damals habe ich dem Ganzen keinerlei Bedeutung beigemessen. Heute, in einem schäbigen Hotel in Tskhinvali, der Hauptstadt Südossetiens, will mir die Sache nicht aus dem Kopf. Anstatt mich um Interviews über das prekäre Verhältnis der Südosseten zur georgischen Zentralregierung zu kümmern – im Moment funktioniert sogar das Telefon, ich könnte Termine vereinbaren –, höre ich auf meinem kleinen Kassettenrecorder die Gespräche ab, die ich im letzten Monat geführt habe. Dabei wird mir die Rolle von ETV immer mehr zum Rätsel. Es ist durchaus möglich, daß ich die Mappe bei der Besprechung am Nachmittag, als ich einige Blätter daraus herzeigte, selbst in Unordnung gebracht habe. Und es kann hundert Gründe dafür geben, warum Michel Reboisson nicht zum Opernball nach Wien kam. Dennoch, die Frage verfolgt mich: Hat ETV irgend etwas mit dem Anschlag zu tun gehabt? Hatte Michel Reboisson einen Hinweis? Der Gedanke hat etwas Verrücktes. Ich habe keinen einzigen Anhaltspunkt. Soll ich zur Polizei gehen und sagen:

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