Opernball
»Ihr wißt mittlerweile, wer die Täter waren. Aber ich habe da noch einen anderen Hinweis: Meine Papiere waren in Unordnung. Es kann freilich sein, daß ich sie selbst durcheinandergebracht habe.«
Seit ich in Kroatien beobachtet habe, wie ein toter Soldat in Zivil gekleidet und zum Filmen auf die Straße gelegt wurde, traue ich diesem Geschäft alles zu. Warum hat mich Michel Reboisson im selben Telefongespräch, in dem er mir zum Tod von Fred kondolierte, beauftragt, das Gesamtmaterial zu einer Dokumentation von 115 Minuten zu schneiden? Warum ausgerechnet mich, wo er doch wußte, in welcher Verfassung ich war. Saß ich vielleicht deshalb im Regiewagen, um später für die Dokumentation verfügbar zu sein? Hätte ich nicht Regie geführt, wäre ich zweifellos als Reporter für osteuropäische Politiker in der Oper gewesen – und wäre nun ein toter Mann.
Einen Monat lang habe ich vergeblich an der Dokumentation gearbeitet. Freds Tod stand dabei so im Mittelpunkt, daß ich nicht in der Lage war, sie fertigzustellen. Ich nahm mir Urlaub und stellte private Recherchen an. Jetzt, da die Dokumentation drauf und dran ist, das größte Filmgeschäft der Geschichte zu werden, frage ich mich, ob da nicht jemand vom selben Instinkt geleitet wurde wie ich, wenn ich meine sensationsträchtigen Reportagen machte. Dazu hätte es eines Hinweises bedurft. Kein Mensch kommt von selbst auf die Idee, den Opernball zu filmen, weil sich dort eine Katastrophe anbahnen könnte. Ich sollte mich nicht selbst verrückt machen, sondern lieber Termine mit südossetischen Politikern vereinbaren. Falls das Telefon noch funktioniert.
Richard Schmidleitner, Fabrikant
Zweites Band
Kommerzialrat Schwarz habe ich etwa um elf Uhr in seiner Loge besucht. Allein, Jan Friedl wollte nicht mitkommen. Er werde beim Kunstminister vorbeischauen, sagte er. Ich glaube nicht, daß er es getan hat. Eher hat er darauf gewartet, daß der Kunstminister bei ihm vorbeischaut. Ich ging also zur Schwarz-Loge, die lag einen Stock höher. Dort saß, eng zusammengedrückt wie Heringe im Glas, die ganze Familie. Die jüngere Tochter war gerade tanzen. Ich setzte mich auf ihren Platz. Sie tranken Zwettler Meßwein aus dem klösterlichen Gut in Gobelsburg. Zuerst sprachen wir über die Flugblätter. Auch sie wußten nichts Genaueres darüber. Die Zettel waren von oben ausgestreut worden. Als wir mit den Gläsern anstießen, sagte der Kommerzialrat, zum Feiern gebe es Grund genug, denn er habe das Geschäft mit dem Schweizer Discounter in der Tasche.
»Ich auch«, antwortete ich, eine Schrecksekunde später. Ich habe ihm nicht geglaubt.
Der Discounter bereitete die Eröffnung von zwölf Filialen vor, jeweils mit einer großen Abteilung für Frischgebäck. Um den Vertrag wurde in der Branche hart gepokert. Ich bin bei unserem Angebot ans Limit gegangen, aber verschenken kann ich mein Brot natürlich nicht. Von den benötigten Mengen her kamen nur wenige Großbäckereien in Frage. Die Floridsdorfer hatte ich eigentlich ausgeschieden. Ich war mir sicher, sie unterboten zu haben. Eher witterte ich Gefahr durch zwei Bundesländerbäckereien, die gegen die Zusage von saftigen Regionalförderungen ein paar neue Arbeitsplätze versprechen könnten. So läuft das. Die lassen sich jeden Arbeitsplatz teuer bezahlen. Kaum ist das Geld verbraucht, ist auch der Arbeitsplatz verschwunden. Kommerzialrat Schwarz wollte also den Zuschlag gekriegt haben, sagte er so nebenbei auf dem Opernball, wie jemand, dem beim Anstoßen einfällt, daß seine Schwester Namenstag hat. Es konnte nicht stimmen. Außerdem sollte die Entscheidung darüber erst eine Woche später fallen. Sein Lachen war dennoch irritierend.
Während wir über andere Dinge sprachen, dachte ich darüber nach, welche Mittel er eingesetzt haben könnte, um die Entscheidung früher und zu seinen Gunsten zu erzwingen. Mit Provisionen war er geizig geworden, er hatte einige Male draufgezahlt. Andererseits gelten auch viele Schweizer Geschäftsleute als geizig und damit als provisionabel. Es gibt die alte Scherzfrage, warum der Emmentaler Löcher hat. Antwort: Darin waren die Provisionen versteckt. Eine wahrscheinlichere Lösung schien mir zu sein, daß es Nebengeschäfte geben könnte. Sein Sohn war nicht ohne Erfolg in der Fotobranche tätig. Ich hatte mir gerade vorgenommen, den jungen Schwarz ein wenig nach seinen Geschäften zu fragen, da fing der Kommerzialrat an, von seiner Geschäftsausweitung zu reden. Er
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