Opernball
Den Ehering hatten sie ihm schon vor längerer Zeit abgezogen. Ich nahm ihn an mich und ging fort.
Auf Abwegen
Heathers Anwesenheit beim Begräbnis war mir eine überraschende Erleichterung gewesen. Nachdem sie überstürzt abgereist war, fiel mir alles noch schwerer als in der Woche davor. Ich schnipselte an der Dokumentation herum, fand aber keinen Weg, der mich überzeugte. Am plausibelsten erschien es mir, Freds Tod in den Mittelpunkt zu stellen und eine persönliche Geschichte dieser Katastrophe zu erzählen. Ich wußte aber, daß mir ETV einen solchen Film um die Ohren schlagen würde. Michel Reboisson wollte eine Dokumentation, wie er sie von mir gewohnt war: spannend, grausam, herzzerreißend und gleichzeitig mit einem nüchternen Kommentar, der keinen Zweifel daran ließ, daß hier nichts als die Wahrheit dargestellt werde. Fred hätte in einem solchen Film nur eine kleine Episode sein können. Aber war die Katastrophe nicht zugleich das Ende Tausender Lebensgeschichten? Was ist mit den anderen Überlebenden? Ich bin doch nicht der einzige, der seinen Sohn, seine Tochter, seinen Vater, seine Mutter oder seinen Ehepartner verloren hat. Es wurden auch viele Polizisten und Kriminalbeamte getötet. Einer sogar draußen bei der Demonstration. Was ging, verdammt noch mal, in den Köpfen der Terroristen vor? Wie kamen sie auf die Wahnsinnsidee, auf dem Opernball Auschwitz nachzustellen? Und warum? Mein Material gab darüber keine Auskunft. Zwei der Terroristen galten als flüchtig. Einer, Feilböck, schon längere Zeit, ein anderer erst seit der Ballnacht.
Nach Freds Begräbnis quälte ich mich noch eine Woche mit dem Material herum, dann gab ich auf. Michel Reboisson tobte. Aber was sollte er machen. Diesmal hätte er keine Chance gehabt, mich arbeitsrechtlich zu belangen. Ich nahm mir einen Monat Urlaub. Danach, so sagte ich, würde ich hoffentlich fähig sein, mich endlich um den Kaukasus zu kümmern.
Gabrielle erzählte mir, daß auch Jan Friedl ums Leben gekommen sei. Ich fand seinen Namen auf der Liste. In meinem Logenplan war er als Gast des Fabrikanten Richard Schmidleitner eingetragen. Aber der war nicht auf der Liste. Wahrscheinlich hatte er Catherine Petit abgeholt. Ich rief ihn an. Er kannte mich. Und er wußte vom Tod meines Sohnes. Auch er habe vor einigen Jahren einen Sohn verloren. Das sei schmerzhaft. Bis heute mache er sich grundlos Vorwürfe. Wir verabredeten uns im Café Schwarzenberg. Er war ein schlanker, sportlicher Mann mit grauen Schläfen, sein Gesicht gebräunt. Er schien aus einem Guß, als wäre er im Business-Anzug zur Welt gekommen. Nichts an ihm wirkte gekünstelt. Obwohl ich ihm zugesichert hatte, daß es ein privates Gespräch sein würde, störte es ihn nicht, als ich meinen kleinen Recorder einschaltete. Er nahm es als selbstverständlich. Er vertraute mir. Ich stellte kaum Fragen und unterbrach ihn nur ganz selten. Privates und Geschäftliches behandelte er mit der gleichen Souveränität. Diese Haltung schien er nur zu verlieren, wenn er auf Jan Friedls Lebensgefährtin zu sprechen kam. Die haßte er. Als ich das Band wechselte, sagte er: »Entschuldigen Sie einen Moment. Ich muß meinem Chauffeur Bescheid geben.«
Er nahm ein Handy aus der Innentasche seines Sakkos und drückte eine gespeicherte Nummer.
»Es wird noch eine Weile dauern. Sagen Sie der Frau Weinstein, daß ich heute nicht mehr ins Büro komme. Sie soll den Termin mit Dr. Stern absagen. Ich werde ihn morgen vormittag anrufen.«
Er steckte das Handy wieder ein. »Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, bei Kommerzialrat Schwarz.« Dann redete er wieder drauflos. Einen Moment lang hatte ich den verrückten Gedanken, Richard Schmidleitner könnte die Terroristen finanziert haben, um seinen untreuen Künstler und den Floridsdorfer Brotkonkurrenten gleichzeitig loszuwerden. Aber die offene Art, mit der er über Jan Friedl und Kommerzialrat Schwarz sprach, ließ mir diese Überlegung von vornherein als völlig abwegig erscheinen. Dennoch erzählte ich Gabrielle davon. Sie wich ein Stück zurück. »Sag das bitte nicht laut. Er wird Dich mit einer Prozeßflut verfolgen, daß Dir Hören und Sehen vergeht.«
In der Wahlnacht traf ich Gabrielle in einer Bar. Sie hatte Dienst gehabt. Vollkommen aufgelöst stürmte sie herein. Sie blieb vor mir stehen und schaute mich entsetzt an. »Ich werde auswandern!«
Es war nicht das erste Mal, daß ich an diesem Abend diesen Satz hörte. Die Nationale Partei war zur
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