Opernball
meine Mutter etwas auf tschechisch zu mir gesagt hatte, war mir mein Vater mit der Antwort: »Ich verstehe Dich nicht«, meist zuvorgekommen. Später hatte auch sie nur noch deutsch mit mir gesprochen. Seit ich verheiratet war, sprach ich meine Eltern manchmal auf englisch an. Meiner Mutter machte das nichts aus. Aber mein Vater wehrte sich am Anfang dagegen.
»Red deitsch!« fuhr er mich einmal an, als wir eine Auseinandersetzung hatten. Er sprach nur deutsch mit mir und erwartete, daß ich es mit meinem Kind ebenso halte. Als Fred ein Baby war, gab ich mir noch Mühe. Aber kaum konnte er wirklich die ersten Worte deutsch reden, wurde mir dieses Erziehungsprogramm zu anstrengend.
Meine neue Aufgabe bei der BBC bestand darin, internationale, vor allem deutschsprachige Zeitungen zu lesen und über Kurzwelle deutsche Nachrichten zu hören. Jede Woche legte ich bei der Redaktionskonferenz einen umfassenden Katalog von Themen vor, die einer Fernsehdokumentation würdig wären. Meine Vorschläge fanden großen Anklang. Ich beließ es nicht bei einer Aufzählung möglicher Themen, sondern erstellte dazu jeweils eine Liste von Interviewpartnern und Drehorten. Ich machte mich unentbehrlich. Während meine Ehe scheiterte, kam ich beruflich gut voran.
Mein nächster Karrieresprung erfolgte im März 1988, als ich eine Dokumentation über die Niederschlagung des Palästinenseraufstands kritisierte und dafür eintrat, sie nicht zu senden. Für die Dreharbeiten waren nur palästinensische Kontakte genutzt worden. Der Film stellte sich meiner Ansicht nach so bedingungslos auf die Seite der Palästinenser, daß er eine Fülle von Protesten hervorrufen und uns die künftige Arbeit in Israel erschweren würde. Dabei zweifelte ich nicht die Tendenz des Filmes an. Ich kritisierte nur, daß kein einziger israelischer Regierungsvertreter und kein jüdischer Siedler zu Wort kamen. Der Produktionsleiter war von diesem Tag an mein erbittertster Gegner. Er warf mir Kompetenzüberschreitung vor.
Doch der Abteilungsleiter hatte mittlerweile solches Vertrauen zu mir, daß er dem Produktionsleiter diese Arbeit entzog und mich beauftragte, sie fertigzustellen. Ich wandte mich an die israelische Botschaft und schilderte offen mein Problem. Mit dem Ergebnis, daß ich eine Woche lang in den vordersten Linien der israelischen Armee unterwegs war. Ich interviewte Militärs, Politiker und Siedler, darunter einen, der aus seiner Gesinnung, daß er alle Palästinenser lieber heute als morgen erschießen würde, damit es nicht umgekehrt kommen könne, keinen Hehl machte. Die Dokumentation ging um die Welt.
Ein paar Monate später stand ich erstmals in einem Leichenfeld. Ich fuhr nach Lockerbie und filmte tagelang nichts anderes als das Einsammeln von Toten und Körperteilen, die nach dem Anschlag auf eine Pan-Am-Maschine im Umkreis von mehreren Kilometern verstreut lagen.
Von da an war ich überall dort zur Stelle, wo Menschen getötet wurden. Beim Golfkrieg gehörte ich zum erlesenen Kreis der von den Amerikanern als Frontberichterstatter zugelassenen Journalisten. Aber wir waren keine Frontberichterstatter. Wir saßen im Camp und bekamen täglich vorgefertigte Wort- und Bildspenden serviert: The greatest hits. Im Vorführraum herrschte gute Stimmung. Die Volltreffer auf dem Videoschirm ernteten begeisterten Applaus. Keiner von uns wußte, was da draußen wirklich los war. Es war so gut wie unmöglich, sich selbständig zu machen und die Front auf eigene Faust zu erkunden. Monate später erfuhren wir, daß einige der gefeierten Treffer bemalten Attrappen aus Pappmache gegolten hatten.
Meine Berichte waren nicht besser, aber auch nicht schlechter als die der anderen. Zu guten Bildern kamen wir erst gegen Ende des Krieges, nachdem die irakische Armee bei ihrem Rückzug bombardiert worden war. Wir erreichten eine Straße, die, so weit wir sehen konnten, mit zerbombten und ausgebrannten Militärfahrzeugeri blockiert war. Es waren vor allem Versorgungsfahrzeuge, ein paar Begleitpanzer und nur wenige Geschütze. Überall lagen verkohlte oder zerrissene Leichen herum. Manche saßen wie schwarze Mumien, mit ausgebrannten Augenhöhlen am Lenkrad ihres Fahrzeugs. Wir fuhren mit einem Geländewagen ein paar Kilometer weit neben dieser Straße entlang. Das Bild blieb dasselbe. Wir fanden keinen einzigen Überlebenden. Die Clusterbomben hatten nur kleine Trichter hinterlassen, aber sie hatten alle, die dem Inferno zu Fuß entkommen wollten, zerfetzt. Von diesen
Weitere Kostenlose Bücher