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Opernball

Opernball

Titel: Opernball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Haslinger
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schmal an, so, daß man gerade durchschlüpfen konnte. Die Wände stützten wir mit Wagenhebern und leeren Kanistern. Als das Material zu Ende war, verbrauchten wir die Reserveräder und schraubten die Sitze aus den Fahrzeugen. Zu Mittag kreiste ein Hubschrauber über uns. Wir ahnten, was das bedeutete, und versuchten noch schneller zu arbeiten. Als unsere Fahrzeuge keine Räder, keine Bodenplatten und keine Windschutzscheiben mehr hatten, war der Eingang zum Bunker noch immer nicht erreicht.
    Der Hubschrauber landete, wir bekamen Besuch. Es war die amerikanische Militärpolizei. Sie verhaftete uns ohne langes Herumreden. Wir mußten alles liegen und stehen lassen, wie es war. Der Hubschrauber brachte uns in ein Camp in Kuwait. Dort wurden wir in Einzelzellen gesperrt und ununterbrochen von Sicherheitsoffizieren verhört. In der Nacht weckten sie mich nach zwei Stunden Schlaf und stellten dieselben Fragen noch einmal. Sie wollten unbedingt herausbekommen, für wen wir arbeiteten. Daß ich dieses Unternehmen auf eigene Faust gestartet hatte, wenngleich mit Wissen unseres Abteilungsleiters, wollten sie mir nicht glauben. Wir wurden nicht schlecht behandelt, rüde natürlich, aber wir bekamen normales Essen und waren keiner Gewalt ausgesetzt. Bloß andauernden Verhören. Am vierten Tag kam ein britischer UNO-Offizier in meine Zelle. Er sagte, wir könnten heimfliegen. Die bisherigen Filmaufnahmen seien beschlagnahmt. Ich antwortete: »Ich brauche keine Filme, ich habe alles im Kopf, und ich habe Zeugen. Ich werde erzählen, daß mich die UNO daran gehindert hat, ein Massengrab freizulegen.«
    Er ging wieder fort. Dann war zwei Tage lang Ruhe. In dieser Zeit, so erfuhr ich später, rief Premierminister John Major persönlich meinen Abteilungsleiter an und schnaubte vor Wut. Ich hatte ein diplomatisches Gerangel auf höchster Ebene ausgelöst. Nach insgesamt einer Woche Haft wurden wir freigelassen. Man wies uns eine Gästebaracke zu, mit Klimaanlage, Fernsehgeräten und Telefon. Eine Soldatin erklärte uns, mit welcher Vorwahl wir nach England telefonieren könnten. Der first lieutenant lud mich zum Abendessen ins Kasino ein. Er reichte mir die Hand und sagte: »Call me Dick.«
    Wegen unserer Internierung entschuldigte er sich. Er sagte, es sei nötig gewesen, einzugreifen, denn wir hätten die internationalen Streitkräfte in höchste Kalamität – er sagte calamity – gebracht. Unser Vorhaben hätten sie von Anfang an durchschaut. Sie wollten uns aber das Filmmaterial erst abnehmen, nachdem wir erfolgreich waren. Denn auch für sie sei es von höchstem Interesse, die Wirkung und Folgen ihrer Kriegstaktik zu studieren. Leider habe auch der Irak uns beobachtet, und so hätten sie eingreifen müssen.
    »Wie geht es jetzt weiter?« fragte ich.
    Er schlang sein Huhn hinunter und trank dazu Orangensaft. Es gab keinen Alkohol im Offizierskasino.
    »Es wird verhandelt«, sagte er. »Saddam Hussein hat absolut kein Interesse, seinen Landsleuten vor Augen zu führen, auf welche Weise ihre Angehörigen gestorben sind. Kein Mensch kann wissen, wie lange die da unten überlebt haben. Das interessiert uns natürlich.«
    Nach dem Essen lud mich der first lieutenant zu sich in seine Zweizimmerwohnung ein. Die eine Wand war vollgehängt mit Fotos seiner Familie, die andere mit Playmates aus Männermagazinen. Ich schaute mir die Reihe der nackten Frauen an. Alle hatten sie volle, leicht nach vorn gestülpte Lippen, den Mund meist geöffnet. Mein Gastgeber begleitete mich von Bild zu Bild.
    »Die habe ich meinen Soldaten abgenommen. Wir müssen uns hier ein wenig nach den Gesetzen des Landes richten. Aber ich halte die Jalousien immer geschlossen.«
    Als ich mich den Fotos seiner Familie zuwandte, öffnete er einen Kleiderschrank und holte zwischen Socken und Unterhosen eine Flasche Bourbon hervor.
    »Alles gibt es hier«, sagte er. »Es braucht nur ein wenig Organisationstalent.«
    Er öffnete die Flasche und schenkte die Gläser so voll, als wäre es Apfelsaft. Er legte eine Platte von Willie Nelson auf. Zuerst hörte er nur zu, dann begann er mitzusingen.
    »Ach, Amerika«, sagte er. »Mir fehlt hier eigentlich nichts außer Amerika.«
    »Und Frauen.«
    »Warum Frauen? Willst Du ficken?«
    »Ist das hier möglich?«
    »Alles ist möglich. Ich kann es arrangieren. Aber heute geht es nicht mehr.«
    Er konnte alles arrangieren. Im Laufe des Abends bot er mir Marihuana an. Als ich betrunken war, interessierte er sich für meine

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