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Opernball

Opernball

Titel: Opernball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Haslinger
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Herkunft. Ich sagte: »Mein Vater hat Bergen-Belsen befreit.«
    Er konnte mit dem Namen nichts anfangen. Ich erklärte ihm, daß Bergen-Belsen ein Konzentrationslager war. Er schnalzte mit der Zunge und nickte anerkennend.
    »Ach, die Juden«, sagte er. »Am Sabbath wollen sie nicht kämpfen. Gibt es irgendwo auf der Welt einen verdammten Christen, der am Sonntag nicht kämpfen will?«
    »Ich bin Halbjude«, sagte ich. »Nicht einmal am Wochentag würde ich kämpfen.«
    »Und wer gibt Dir Deine Freiheit?«
    »Meine was?«
    »Du Sohn einer Hündin«, fuhr er mich plötzlich an, »fährst einfach in den Irak, um Leichen auszubuddeln, und fragst, was Freiheit ist?«
    Ich schlug mir auf die Brust. »Meine Freiheit habe ich da drinnen.«
    »Da drinnen hast du Blut und Scheiße. Ohne uns wärst du jetzt ein roter Dreckbatzen im Wüstensand. Und in einem Jahr würden dich die Beduinen verfeuern.«
    Ich wollte nicht klein beigeben.
    »Und die Menschen im Bunker?« fragte ich.
    »Das waren unsere Feinde, du Schafskopf.«
    »Aber was ist mit ihrer Freiheit?«
    Er zog seine Pistole und sagte: »Verschwinde, Bastard.«
    Ich stand auf und ging zur Tür. Im Hinausgehen sagte ich: »Danke für das anregende Gespräch. Ich werde dem commander darüber berichten.«
    Er lief mir nach.
    »War nicht so gemeint, fellow. Ich soll dich aushorchen, wollte dich reizen.«
    Er streckte mir in einer Sportlergeste seine rechte Hand entgegen: »Give me five!«
    Ich schlug meine Hand in die seine. Er hielt sie fest und zog mich in den Raum zurück. Dabei sagte er: »Ein seltsames Arschloch bist du allerdings schon. Ein Jude, der sich um die Freiheit der Iraker Sorgen macht.«
    »Ich bin Halbjude«, antwortete ich. »Mit der anderen Hälfte mache ich mir um Deine Freiheit Sorgen.«
    Er ließ meine Hand los. »Hier. Da hast Du zwei Flaschen Bourbon, für Dich und Deine Freunde. Und jetzt verpiß dich.«
    So kam es, daß wir fünf Tage nichts anderes taten, als Bourbon zu trinken, die kuwaitischen Prinzen im Fernsehen zu bewundern und zu warten. Dann war endlich eine Entscheidung gefallen.
    Wir fuhren in einem kleinen Konvoi zur irakischen Grenze. Mit von der Partie waren der uns schon bekannte britische und ein französischer UNO-Offizier. Weiter ein paar Soldaten, der first lieutenant und ein Geistlicher. Der Konvoi bestand aus zwei Mannschaftsfahrzeugen, einem Bergepanzer, einem Sattelschlepper mit Ketten, auf dem ein Bagger verladen war, und aus zwei Schwerlastwagen. Hinter der irakischen Grenze wurden wir von gepanzerten Mannschaftswagen und leeren Lastern erwartet. Die Dächer waren weiß und blau bemalt, damit sie von den hoch über uns flitzenden Aufklärungsflugzeugen als von der UNO genehmigt erkannt werden konnten. Die Begrüßung der Iraker war kurz und förmlich. Der Lieutenant reichte dem irakischen Offizier die Hand. Die Soldaten salutierten. Dann fuhren wir gemeinsam los, die Iraker an der Spitze. Bis wir die Stelle erreichten, an der wir zu graben begonnen hatten, wurde es Abend. Unsere Geländefahrzeuge waren verschwunden. Die Amerikaner hatten sie zusammengesetzt und nach Saudi-Arabien zurückgebracht. Eine schmale Rinne im Sand war alles, was von unseren Bemühungen übriggeblieben war. Während wir ums Lagerfeuer saßen und dicke Steaks aßen, knieten die Iraker vor ihren Zelten und beteten.
    Am nächsten Tag wurde gebaggert. Wir filmten. Der Lieutenant hatte uns genaue Instruktionen gegeben. Es war uns verboten, den Bunker zu betreten. Wir durften ihn nur von außen filmen. Ein paar Stunden lang verlud der Bagger den Sand auf die Lastwagen, die ihn ein paar hundert Meter entfernt abluden. Da gab das Erdreich nach. Es entstand ein Trichter, in dessen mittlerem Teil eine vorspringende Betondecke sichtbar wurde. Aus der nächsten Baggerschaufel hing der Fuß einer Leiche. Die Iraker stoppten den Bagger. Sie zogen ihren Soldaten heraus und legten ihn in den Sand. Nun wurde mit Schaufeln gearbeitet. Die Bauarbeiter meines Fernsehteams beteiligten sich.
    Eine Leiche nach der anderen wurde geborgen. Der Eingang zum Bunker war verstopft mit Leichen und Sand. Als ein Loch freigeschaufelt war, verbreitete sich ein bestialischsüßlicher Gestank. Wir hatten den Auftrag, möglichst viele Nahaufnahmen von Leichen zu machen und so weit wie möglich in den Bunker hineinzuleuchten. Die Leichen waren gut erhalten. Sie trugen großteils Uniformen und waren abgemagert wie die Leichen von Bergen-Belsen. Offenbar hatten sie bis zuletzt versucht, mit

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