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Opernball

Opernball

Titel: Opernball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Haslinger
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Glied des kleinen Fingers zu tätowieren.
    »Acht«, sagte er, »steht für den achten Buchstaben des Alphabets, für das H. Zweimal die Acht ist die Abkürzung für Heil Hitler.«
    Feilböck begann. Er tauchte die Nadel in die Farbe und stach in den Finger. Darin gab er die Nadel an den nächsten weiter. Der Geringste ließ sich nichts anmerken, als würde er keinen Schmerz spüren. Jeder machte immer nur einen Stich, um sich am anderen Ende des Halbkreises, den wir um den Altar bildeten, wieder anzustellen. Blut und Farbe rannen auf das weiße Tuch hinab. Die zwei Achten waren ein Gemeinschaftswerk, gestochen von den acht Kameraden des Geringsten. Als sie fertig waren, reinigte der Geringste mit dem Tuch seine blutige Hand. Feilböck war der nächste. Und so ging die Reihe durch, bis wir alle mit zwei Achten tätowiert waren. Am Schluß war das Tuch getränkt von Blut und schwarzer Farbe. Der Geringste nahm die Papierrolle mit der Eidesformel, steckte den Silberring darüber, wickelte sie in das feuchte Tuch und legte sie in den Tresor.
    »Und nun«, sagte er, »wollen wir den Tresor hinter dem Altar einmauern und den Schlüssel vernichten.«
    So geschah es. Wir rückten den Altar beiseite, holten Werkzeug und stemmten die Mauer auf. Dabei fiel das Bild von Darre herab. Der Geringste sagte: »Wir nehmen es als Zeichen. Darre hat ohnedies nichts zuwege gebracht.«
    Das Bild wurde nie wieder an die Wand gehängt.
    Der Blade und der Polier hatten den Tresor so in das Mauerloch gesetzt, daß die Türe mit der Wand abschloß. Der Geringste sagte: »Wenn es hier eine Hausdurchsuchung gibt, werden sie als erstes den Tresor aufschweißen und unser Geheimnis lüften. Der Tresor muß ganz verschwinden.«
    So wurde das Loch noch tiefer in die alte Steinmauer hineingestemmt. Als es zugemauert war, zerschnitten wir mit der Trennscheibe den Bart des Tresorschlüssels.
    Danach gab es, wie jeden Sonntagnachmittag, ein Festmahl. Wir nahmen einander die Lammkeule aus der Hand, bissen ab und reichten sie weiter. Nichts und niemand sollte uns je trennen können.
     
    Und doch gab es schon eine Woche später die ersten Unstimmigkeiten. Bei der Totenmesse las der Geringste Ausschnitte aus dem Buch der hundert Kapitel vor. Diese Schrift ist in mittelhochdeutscher Sprache abgefaßt und wurde nie in Buchform veröffentlicht. Sie stammt von einem anonymen Verfasser, der von manchen als Oberrheinischer Revolutionär bezeichnet wird. Der Geringste hat einige Passagen in eine verständliche Sprache übertragen. Er sagte, nach langer Suche habe er eine leider nicht vollständige Abschrift in der Bibliothek der Minoriten gefunden. Aber er wisse mittlerweile, wo die ganze Handschrift aufbewahrt werde, nämlich in Colmar. Der Oberrheinische Revolutionär riefdazuauf, am Vorabend des Tausendjährigen Reiches die gesamte Geistlichkeit auszurotten und das Kirchenvermögen den Armen zur Verfügung zu stellen. Auch alle Einkommen aus Grundbesitz und alle Handelsgewinne sollten unter den Armen aufgeteilt werden. Wer sich diesem Gericht widersetze, solle verbrannt, gesteinigt, erwürgt oder bei lebendigem Leibe eingegraben werden.
    Bei der Auslegung sagte der Geringste: »Der Oberrheinische Revolutionär hat schon vor fünfhundert Jahren erkannt, daß Daniels Traum vom neuen Reich nicht für die Juden bestimmt war, sondern für diejenigen, die ihn zu verwirklichen verstehen. Er dachte damals, es seien die Deutschen. An uns liegt es, das große Gericht zu vollziehen. Nicht irgendwelche Völker irgendwo auf der Welt, sondern wir sind beauftragt, den Endzustand dieses Planeten herzustellen. Da wir nunmehr Gewißheit haben, daß darin unser Auftrag besteht, sollten wir keinen Moment länger zuwarten.«
    Im Gespräch ging es dann um unsere nächste gemeinsame Aktion. Feilböck wußte, was zu tun war. Er hatte nämlich herausgefunden, daß die Türken, die mich verdroschen hatten, zwar nicht gemeinsam in einem Haus wohnten, aber regelmäßig in einem Lokal am Yppenplatz verkehrten. Er sagte: »Ich bin in der Gegend aufgewachsen, ich kenne das Lokal. Das war früher ein ganz normales Eckbeisel, in dem sich die Arbeiter zum Bauernschnapsen trafen. Heute traut sich dort kein Einheimischer mehr rein. Wenn wir denen die Bude kurz und klein schlagen, sind wir die Helden des Bezirks. Ich habe mit anderen Gruppen gesprochen. Sie würden mitmachen. Wir könnten dreißig oder vierzig Mann sein.«
    Der Geringste schrie nie. In Situationen, in denen andere sich aufregen

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