Opernball
mich nach den ratings. Ich hatte allen Grund zum Feiern. Am besten war die Sendung in Deutschland und Österreich angekommen. Weniger gut, aber immer noch sehr hoch, war die Zustimmung in Frankreich und England. Die Einschaltquoten waren in allen Ländern ausgezeichnet.
Ich legte die Kassette ein und sah mir die Dokumentation noch einmal an. Wenn eine meiner Sendungen erfolgreich war, hatte ich am nächsten Tag Lust, sie mir zehnmal hintereinander anzuschauen. Es war ein schönes Gefühl. Ich konnte mich selbst nicht genug loben. Aber ich sah auch Fehler und Versäumnisse. Aus dem verkohlten Gemäuer eines ausgebrannten Hauses ragte eine lange, im Wind schwankende Antenne, die mir beim Filmen entgangen war. Ich hätte nachschauen sollen, wem sie gehört und wozu sie dient. Offenbar hatte nicht nur der Bürgermeister einen CB-Funk.
Fred kam erst gegen Mitternacht. Er war barfuß und betrunken. In der Brusttasche seines T-Shirts steckten Zigaretten und eine Mundharmonika. Sein roter Bart war struppig. Fred lachte, als er mich im Wohnzimmer sitzen sah. Er sagte: »The old fart is back«, was nicht gerade schmeichelnd war. Ich stand auf und umarmte ihn. Er war spindeldürr. Ich nahm seinen Kopf in die Hände und küßte ihn auf die Stirn. Sein Gesicht sah aus, als wäre es aus ungewachstem rotem Leder, mit tiefen Furchen an den Wangen, die im Gewirr des Bartes verschwanden.
»Wie geht es Dir?«
»Siehst Du doch.«
Er hob die Arme und ließ sie fallen.
»Geht es Dir wirklich gut? Bist Du über den Berg?«
»Ich bin froh, daß ich wieder rauchen und trinken kann. Aber eines ist sicher: Nie wieder im Leben einen Schuß.«
Ich öffnete eine Flasche Beaujolais. Fred leerte sein Glas in einem Zug und schenkte sich nach.
Er sagte: »Wärst Du mir in den ersten drei Wochen unter die Finger gekommen, ich hätte Dich gekillt.«
Am Anfang habe er jede Arbeit und jedes Essen verweigert. Er sei zusammengekrümmt im Zelt gelegen und habe gespürt, wie die Strahlen ihn langsam töten.
»Jerg war immer bei mir«, sagte er, »auch wenn ich ihn noch so angeschrien habe. Wenn ich Krämpfe hatte, massierte er meine Muskeln. Jerg habe ich es zu verdanken, daß ich von den Toten auferstanden bin.«
Ich hoffte, daß er mittlerweile auch meinen Anteil ein wenig zu schätzen wüßte. Statt dessen sagte er: »Du hast mich einfach abgeschoben. Ich schwöre Dir, ich hätte auch krepieren können.«
Ich schenkte ihm Wein nach. Er lagerte seine dreckigen Füße auf mein türkises Ledersofa. Ich gab mir Mühe, alle pädagogischen Einfälle für mich zu behalten. Zuvorkommend hielt ich den Aschenbecher unter seine Zigarette. Er streifte die Asche nicht ab, wie ich es tat, sondern er klopfte mit dem Zeigefinger auf die Zigarette. Dabei fielen immer Teilchen daneben.
»Ich habe Jerg nach Wien eingeladen. Ich habe gesagt, Du zahlst ihm den Flug.«
»Das ist in Ordnung. Er ist ein sympathischer Bursche. Hast Du meine Sarajewo-Dokumentation gesehen?«
»Man konnte ihr gar nicht ausweichen. Ein starkes Stück.«
Er begann zu lachen. »Hast Du die Alte selbst in die Luft gejagt?«
Ich hielt es für besser, darauf nicht zu antworten.
»Jeder, dem ich meinen Nachnamen nenne, fragt mich, ob ich mit Dir verwandt bin. Das geht mir langsam auf die Eier.«
Das Zusammenleben mit Fred gestaltete sich schwierig. Nicht, daß wir große Konflikte gehabt hätten, aber ich mußte mich ständig zurückhalten. Fred war nur in Ansätzen bereit, sich auf meine Ordnung und Lebensweise einzustellen. So begann er zum Beispiel die Handtuchhalter zu benutzen. Und nachdem er in Hundescheiße gestiegen war, trug er auf der Straße Schuhe.
Jeden Montag kam eine polnische Putzfrau. Ich bestellte sie von nun an zweimal die Woche, weil sie allein mit Freds Zimmer einen halben Tag beschäftigt war. Einmal war ich daheim, als sie das Bücherregal in meinem Arbeitszimmer abstaubte. Sie nahm jedes Buch heraus und schaute es auf eine Weise an, als kenne sie Bücher nicht nur vom Staubwischen. In englischen Büchern blätterte sie hin und wieder. Ich fragte sie, was sie früher in Polen gemacht habe. Sie antwortete in gutem Englisch: »Actually, I was a paediatrician in a hospital.«
Der Ingenieur
Viertes Band
Auf dem Altar stand ein kleiner, roter Tresor. Davor, auf dem Lesepult, lagen die Bibel und Hitlers Mein Kampf. Der Geringste trat ans Pult und sah uns lange an, einen nach dem anderen. Im Schein der Kerzen hatten seine Haare helle, flackernde Ränder. Es
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