Opernball
war, haben alle zugesehen.«
Feilböck erzählte, er habe Joe am Nachmittag gefunden. Seine Wunden seien mit Handtüchern und Geschirrtüchern umwickelt gewesen.
»Im großen und ganzen«, beruhigte er uns, »sind die Verletzungen nicht schlimm, ein paar Schnitte. Nur zwei Stichwunden am Bein sehen übel aus, weil sie tief sind.«
Feilböck war für die medizinische Versorgung zuständig. Er konnte fachgerecht Verbände anlegen. Die Medikamente bezog er von einem befreundeten Apotheker. Er sagte: »Ich habe Joe geraten, zum Arzt zu gehen, dann sind die Serben am nächsten Tag weg. Aber er will nicht.«
»Nein«, sagte der Geringste. »Das machen wir selbst. Dazu gibt es uns ja. Ich wollte mir schon eine Pistole in die Bude nehmen. Aber ich habe es mir anders überlegt. Wir haben stärkere Waffen als eine Pistole.«
»Genau«, sagte der Polier. »Das ist jetzt vorrangig. Den Ingenieur rächen wir später.«
»Nur nichts übereilen«, sagte der Geringste. »In zwei Monaten wird meine Erbschaft fällig. Dann kann alles hier verbrennen.«
Er fischte ein Kuvert aus dem Regal über seinem Bett. Es war ein Brief des Gemeindeamtes Seewalchen. Darin wurde der Geringste eingeladen, sein Erbe von der gerichtlichen Vormundschaft zu übernehmen. Beigelegt war ein Schreiben des Bezirksgerichts.
Der Geringste sagte: »Alles, was ich besitze, gehört der Bewegung. In zwei Monaten sind wir reich.«
Darauf tranken wir Bier und kochten für den Geringsten Kaffee.
Als wir gingen, bat uns der Geringste, einen kleinen Koffer mitzunehmen und ihn gut zu verstecken. »Aber nicht in der Wohnung«, sagte er. »Auch nicht in Rappottenstein. Es sind ein paar Bücher, Disketten und Manuskripte drinnen, die mir wichtig sind. Vor allem die Bearbeitung des Buchs der hundert Kapitel.«
Feilböck nahm den Koffer an sich. Er sagte: »Ich habe im Keller meiner Eltern einen eigenen Schrank. Dort ist noch genug Platz.«
Der Gürtelhausbrand war damit eigentlich schon beschlossene Sache. An den folgenden Wochenenden sprachen wir nur noch darüber, wie die Aktion durchgeführt werden sollte. Feilböck war kleinlaut geworden. Immer noch träumte er vom Überfall auf das Türkenlokal. Aber er hatte es aufgegeben, weiter darauf zu dringen. Die Totenmessen waren auf ein einziges Thema reduziert: Rache für Joe.
Wir haben viele Varianten diskutiert. Eines war klar: Der Geringste durfte nicht gefährdet werden. Da er aber am Ende des Souterrainganges wohnte, hätte die Aktion, gründlich durchgeführt, dem Geringsten den Fluchtweg versperrt. Er mußte also außer Haus sein und brauchte ein unantastbares Alibi. Wir fanden eine Lösung. Der Gürtelhausbrand fand an dem Tag statt, an dem der Geringste sein Elternhaus in Litzlberg am Attersee verkaufte. Der Geringste hatte uns ein Foto des Hauses gezeigt. Es war geräumig, aber für unsere Zwecke vollkommen ungeeignet. Die Nachbarn, ein Baumeister aus Linz und ein Universitätsprofessor aus Wien, benutzten dieselbe Zufahrt und konnten jeden beobachten, der ein und aus ging. Auf der dem See zugewandten Seite waren in die Außenwand große Glasfenster eingelassen. Durch sie war auch das Innenleben des Hauses für jeden, der am See vorbeifuhr, sichtbar. Der Geringste hätte das Haus in den zwei Jahren nach dem Tod seiner Mutter benutzen können, aber er tat es nicht. Er gab den Zweitschlüssel nicht dem Baumeister, der sich aufgedrängt hatte, sondern einem Bauern, dessen Kinder einst seine besten Freunde waren. Der Bauer schrieb alle paar Monate eine Postkarte, auf der er genau auflistete, was er alles repariert oder erneuert hatte. Seine Sommergäste konnten das Grundstück und den Bootssteg benutzen. Gelegentlich brachte er auch Gäste im Haus unter. Einmal las uns der Geringste von einer Postkarte den Satz vor: Habe den unteren Abort rückwärts abgedichtet. Wenn der Blade furzte, was er mit Leidenschaft tat, sagte Pandabär zu ihm: »Du gehörst am unteren Abort rückwärts abgedichtet.«
Der Geringste zögerte keinen Moment, sein Elternhaus zu verkaufen. Er wandte sich an mich, da ich im Verkauf von Wohnungen mittlerweile über einige Erfahrung verfügte. Ich vermittelte ihm eine Wiener Agentur. Kaum hatten wir eine Projektbeschreibung und ein paar Fotos abgeliefert, gab es schon die ersten Bewerber, darunter den Bauern, den Universitätsprofessor und den Baumeister. Offenbar hatte ein Vertreter der Agentur das Haus noch am selben Tag besichtigt. Der Geringste wollte es gerne dem Bauern verkaufen,
Weitere Kostenlose Bücher