Opernball
zwar zu, daß ich am nächsten Tag mit einem Konvoi nach Zagreb mitfahren könne, aber es sei höchst ungewiß, ob er noch am selben Tag dort ankomme. An der Grenze seien wieder Kämpfe ausgebrochen. Im Moment würden keine Fahrzeuge durchgelassen. Es gibt nichts Schlimmeres für einen Reporter, als gutes Filmmaterial zu haben, es aber nicht überspielen zu können. Die anderen würden aus der Marktplatzgranate mit schlechten Bildern eine große Story machen. Ich hatte die wirkliche Geschichte im Kasten und wurde sie nicht los. Beim serbischen Rundfunk blitzte ich ab. Nächste Woche könne ich eine Leitung nach Wien haben. Alle Kapazitäten seien reserviert. Ich telefonierte mit Paris. Wenigstens das funktionierte. Ich spreche jedoch nicht französisch. Man mußte Glück haben, auf Anhieb jemanden in die Leitung zu bekommen, dessen Englisch verständlich war. Selbst bei Mitarbeitern des Chefsekretariats war es mir passiert, daß ich erst nach mehreren französischen Sätzen dahinterkam, daß sie englisch sein sollten. Michel Reboisson hingegen sprach ein sehr gutes Englisch, besser gesagt, Amerikanisch. Er war nur leider nicht im Büro. Ich ließ mir die Nummer seines Autotelefons geben, wo ich ihn auch erreichte. Er sagte: »CNN hat doch einen Sendewagen in Belgrad.«
»Den werden sie sicher mit Begeisterung der Konkurrenz überlassen.«
»Wir schenken ihnen das einmalige Senderecht, zeitgleich mit uns, dafür sollen sie den Film in unseren Satelliten einspeisen.«
Die Idee war gut. Ich fuhr zu CNN und zeigte ihnen die entscheidende Passage meines Films. Der Leiter telefonierte mit Atlanta, und der Deal war perfekt. Im letzten Moment drohte das Unternehmen noch zu scheitern, weil es zwischen amerikanischer und französischer Technik unüberwindbare Hindernisse zu geben schien. Paris meldete ein verzerrtes Bild ohne Ton. Schließlich funktionierte es doch. CNN begnügte sich nicht mit einer einmaligen Ausstrahlung, sondern brachte die zerrissene Gemüsefrau jede Stunde auf Sendung. Und in Wien klingelte die Kassa.
Es war ein heißer Julisonntag, als ich nach Wien zurückkam. Die Stadt wirkte ausgestorben. Lediglich auf der Ringstraße war reger Verkehr. Die Fiaker und Touristenbusse hatten je eine Fahrspur in Beschlag genommen. Ich fuhr sofort zu meiner Wohnung in der Museumstraße. Sie war nicht abgesperrt. Ich öffnete die Tür, zog sie dann aber wieder zu und läutete. Fred kam nicht. Aber er war hier eingezogen. Ich konnte es an der ganzen Wohnung ablesen. In der Küche standen Berge von unabgewaschenem Geschirr. Im Wohnzimmer waren volle Aschenbecher. Asche lag auch auf dem Parkettboden und war in den türkischen Teppich hineingetreten. Mein Plattenspieler stellte sich nicht automatisch ab. Eine auf dem Teller kreisende Platte von Bob Dylan gab jede Sekunde einen Knackser von sich.
Der Vorhang lag hinter der Sitzbank. Die Karniese war aus der Mauer gerissen. In der Badewanne waren, knapp unter der Höhe des Überlaufs, Dreckränder. Auf den Fliesen lagen benutzte Handtücher. Mein Arbeitszimmer schien, abgesehen von falsch zurückgestellten Büchern, in Ordnung zu sein. Daß der Computer nach der Setup-Disc verlangte, erfuhr ich erst am nächsten Tag.
Es gab keinen Zweifel, ich lebte nach langer Zeit erstmals wieder mit Fred zusammen. Sein Zimmer nahm ich mit Erstaunen zur Kenntnis. Er hatte es geschafft, alles, was gewöhnlich in handgreiflicher Höhe verwahrt wird, auf dem Teppichboden auszubreiten. Mitten drin standen, wie Trophäen, leere Weinflaschen. Ohne daran irgend etwas zu verändern, schloß ich die Tür. Ich lüftete die Wohnung und wusch das Geschirr. Ich saugte die Asche weg, leerte die Aschenbecher. Ich putzte die Badewanne. Und dann wartete ich. Lange stand ich am Fenster. Die wenigen Menschen, die zu sehen waren, gingen entweder in den Bühneneingang des gegenüberliegenden Volkstheaters hinein, oder sie gingen an meinem Hauseingang vorbei zum Burgkino. Die Pärchen mit den Fotoapparaten waren auf dem Weg zur Nachmittagsruhe in der Pension Museum. Ich kochte mir Kaffee. ETV übertrug den Grand Prix vom Hockenheim-Ring, CNN lobte sich selbst und sendete endlose Listen von Hotels, in denen der Kabelkanal zu empfangen war. Ich schenkte mir einen Whisky ein. Auf dem Anrufbeantworter war die Stimme von Gabrielle, einer dunklen, zierlichen Nachrichtensprecherin, mit der ich ein paarmal ausgegangen war. Sie gratulierte mir zu meiner Sarajewo-Dokumentation. Ich rief im Studio an und erkundigte
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