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Opernball

Opernball

Titel: Opernball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Haslinger
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ersten Stock stand auf einer Tafel Hochparterre, im zweiten Stock Mezzanin. Dann erst kam der erste Stock. Das goldene Türschild mit der Aufschrift Ing. Neumann war also in Wirklichkeit im vierten Stock. Kaum hatte ich auf die Klingel gedrückt, sagte direkt hinter der Tür eine Frau: »Ja, bitte?«
    »Entschuldigen Sie, aber ich brauche eine Auskunft. Der Hausmeister hat mich an Sie verwiesen. Ich suche jemanden, der früher in diesem Haus gewohnt hat.«
    Während ich sprach, hob sich die Klappe des Türspions, und ein Auge schaute heraus. Dann wurde die Tür ein Stück geöffnet. Auf halber Höhe spannte sich eine dicke Kette. Hinter dem Spalt stand eine kleine, weißhaarige Frau in einem beigen Regenmantel. Sie musterte mich von oben bis unten.
    »Wer sind Sie?«
    »Ich heiße Kurt Fraser. Ich möchte wissen, was aus einer Frau namens Rosa Novotny geworden ist. Sie soll einmal in diesem Haus gewohnt haben. Sie war eine Bekannte meines Vaters.«
    Sie sah mich mißtrauisch an.
    »Wie heißt Ihr Vater? Fraser?«
    »Ja, aber damals hieß er Finkelstein, Kurt Finkelstein.«
    Sie schloß die Tür. Ich hörte, wie sie die Kette entfernte.
    »Kommen Sie bitte herein.«
    Sie führte mich in einen Salon.
    »Sie müssen entschuldigen«, sagte sie und schaute dabei auf ihren Regenmantel. »Ich wollte gerade einen Spaziergang machen. Ich liebe die späten Herbsttage. Wahrscheinlich, weil ich selbst schon in den späten Herbsttagen bin. Setzen Sie sich, bitte. Was darf ich Ihnen anbieten, Kaffee, oder ein Glas Wein?«
    »Danke, gar nichts. Ich will Ihnen keine Umstände machen. Nur eine kleine Auskunft für meinen Vater.«
    »Der Spaziergang läuft mir nicht davon. Ich habe nur einen einzigen Termin, und der ist am Abend im Musikverein. Bis dorthin werden Sie hoffentlich erfahren haben, was Sie wissen wollen. So setzen Sie sich doch.«
    Sie ging ins Vorzimmer und zog den Regenmantel aus. Dann verschwand sie in einem anderen Raum. Sie war zweifellos im Alter meines Vaters. Aber ihr Gesicht wirkte jugendlich. Auch war sie offensichtlich bei bester Gesundheit. Ich setzte mich auf ein Biedermeiersofa. In der einen Hälfte des Raumes stand ein Bösendorfer-Flügel, in der anderen die Biedermeier-Sitzgruppe. Zwei Glasvitrinen enthielten Gläser, Porzellan und Tafelsilber. Die Frau kannte meinen Vater. War sie gar selbst Rosa Novotny?
    Sie kam mit einem Silbertablett zurück, auf dem eine geschliffene Karaffe und zwei Gläser standen.
    »Sie trinken doch Sherry?«
    »Gerne.«
    Sie stellte das Tablett auf ein Tischchen. Als sie den gläsernen Stöpsel aus der Flasche zog, fragte ich sie unverblümt: »Sind Sie Rosa Novotny?«
    Sie ließ die Flasche auf das Tablett zurücksinken. Dann setzte sie sich schräg gegenüber von mir auf einen Stuhl, der in derselben bronzenen Farbe gepolstert war wie meine Bank. Den gläsernen Verschluß hielt sie in der Hand.
    »Sie sehen Ihrem Vater ähnlich. Da, wo Sie sitzen, ist vor 55 Jahren Ihr Vater gesessen. Hier meine Mutter. Und ich bin immer wieder hinausgelaufen und habe...« Sie hielt inne und schmunzelte. »Geheult. Ja, geheult habe ich, wie ein Schloßhund. Meine Mutter hat Kurt unterstützt. Sie versuchte vernünftig mit mir zu reden. Damals habe ich das alles nicht verstanden. Ich war ein dummes Mädchen.«
    Sie stand vom Stuhl ihrer Mutter auf und schenkte Sherry ein. Sie machte das sehr bedächtig. In mein Glas goß sie deutlich mehr ein als in ihr eigenes.
    »Ist er in England geblieben?« fragte sie. »Wie geht es ihm? Ein halbes Jahr lang hat er mir geschrieben. Es mußte so kommen. Alles andere wäre Lüge gewesen.«
    Sie stellte die Sherry-Gläser auf silberne Untersätze. Wir prosteten einander zu. Ich erzählte ihr von meinem Vater. Sie hörte mir aufmerksam zu. Wenn sie von sich sprach, tat sie es immer mit einem Hauch von Ironie. Ihr Mann war vor zehn Jahren gestorben. Sie hat drei Kinder. Die Tochter lebt mit ihrer Familie in Deutschland, ein Sohn im Salzkammergut. »Der zweite Sohn«, sagte sie, »muß hin und wieder die Mutter ertragen. Er wohnt im siebten Bezirk. Wenn er Zeit hat, begleitet er mich in den Musikverein.«
    Dann lachte sie. Ihre Wangen wölbten sich dabei nach vorne. Das gab ihr ein spitzbübisches Aussehen.
    »Sie werden mich jetzt für eine hoffnungslose Traumtante halten. Aber mein zweiter Sohn heißt Kurt. Das erzählen Sie Ihrem Vater aber lieber nicht.«
    Wir saßen den ganzen Nachmittag beisammen. Sie bereitete Kaffee und bot mir eine Obsttorte an. Ich

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