Opernball
Mostar-Reportage zu verdanken.«
Ein andermal wollte er Details über meine Herkunft und die Emigrationsgeschichte meines Vaters wissen. Ich erzählte, daß er zu den Befreiern von Bergen-Belsen gehört und bald darauf einen Versuch unternommen hatte, nach Wien zurückzukehren. Ich verschwieg nicht die Bitternis, mit der mein Vater seither von Wien sprach. Das kenne er, antwortete der Minister. Es sei nur allzu verständlich.
Kaum hatte ich mich im Vorzimmer angemeldet, kam er aus seinem Büro und streckte mir die Hand entgegen.
»Die gute Nachricht zuerst. Ich habe Ihren Vater nach Wien eingeladen.«
»Wie bitte?«
»Wir machen eine große Veranstaltung mit Exilierten aus aller Welt, vor allem natürlich aus den USA und aus England.«
»Und hat er zugesagt?«
»Soviel ich weiß, ja. Gertrud, hat der Herr Fraser zugesagt?«
Hinter dem Minister erschien eine Frau mit kurzem, dunklem Haar. Sie lächelte mich an und reichte mir die Hand.
»Wollen Sie wissen, was er geantwortet hat? Nein, ich sollte es Ihnen lieber nicht sagen. Aber er wird kommen.«
»Und was ist die schlechte Nachricht?« fragte ich den Minister.
Er machte eine einladende Handbewegung in die Richtung seines Büros. »Das besprechen wir lieber hinter verschlossenen Türen.«
Auf der Sitzgarnitur saßen der Direktor des Bundestheaterverbands und der Operndirektor. Beide erhoben sich, als wir eintraten. Ganz im Gegensatz zum Minister wirkten sie abgekämpft, so, als hätten sie eine hitzige Debatte hinter sich. Gertrud bot mir Kaffee an.
»Die schlechte Nachricht«, begann der Minister, »ist ganz simpel: Ich kann das nicht machen. Sosehr ich mit dem Vorschlag sympathisiere, damit wir uns richtig verstehen. Medienpolitik ist eine heikle Angelegenheit. Da wurden in der Vergangenheit schon zu viele Fehler gemacht. Ich brauche Ihnen ja nichts über unsere Zeitungen zu erzählen. Und die Staatsoper ist nicht irgendein Opernhaus. Sie ist ein nationales Symbol. Wenn ich den Opernball dem öffentlichen Fernsehen wegnehme, haben wir eine Regierungskrise.«
»Machen Sie einfach eine Ausschreibung«, schlug ich vor. Der Operndirektor sagte resigniert: »Das war auch mein Vorschlag.«
Daraufhin der Minister mit sanften Armbewegungen, die in einem merkwürdigen Mißverhältnis zu seinem entschiedenen Ton standen: »Das darf nicht einmal ansatzweise diskutiert werden. Morgen schon hätte ich das halbe Parlament im Genick. Weder Ihr Projekt, mit dem ich, wie gesagt, sympathisiere, noch ich würden das durchstehen. Alle würden aufschreien: Man verscherbelt nicht das Familiensilber.«
»Gut«, sagte ich. »Dann machen wir den Deal mit Prag.« Der Operndirektor sank, wie von einer Ohrfeige getroffen, zusammen. Er murmelte: »O Gott, jetzt haben wir den Palawatsch.«
»Mit Prag?« fragte der Minister.
»Ja, mit Prag. Die warten nur darauf, die Hauptstadt Mitteleuropas zu werden. Von der Lage her ebenso attraktiv wie Wien.«
Der Minister saß schweigend da, eine Hand auf dem Kinn. Dann streckte er den Rücken und legte die Hände in den Schoß: »Ich nehme an, Sie haben mit Prag schon gesprochen.«
»Nicht ich, sondern Michel Reboisson, mein Chef. Mit Prag gibt es keine Probleme.«
»Geben Sie mir zwei Tage Zeit. Ich werde mit dem Bundeskanzler reden.«
Im Hinausgehen lief mir Gertrud nach. »Warten Sie noch einen Moment, Herr Fraser. Ich zeige Ihnen etwas.«
Sie brachte mir einen Brief meines Vaters. Er bedankte sich für die Einladung, die er, wie er sich ausdrückte, gerne vor 49 Jahren erhalten hätte. Wenn er ihr nun aber dennoch entspreche, dann deshalb, weil er seinen Sohn besuchen wolle, den er nicht habe davon abhalten können, nach Wien zu gehen.
Besonders schön fand ich den letzten Absatz: »Zumal das Sammeln von Pässen nicht zu meinen Hobbies gehört und ich ohnedies einen Passport habe, der meinen Reisewünschen bislang nie im Wege stand, erlaube ich mir, von Ihrem großzügigen Angebot keinen Gebrauch zu machen. Ich weiß aber, daß es in Ihrem Land viele Menschen gibt, für die ein solches Dokument einer Wiedergeburt gleichkäme. Sie würden einem ehemals Vertriebenen wie mir, den Sie erfreulicherweise nunmehr wieder als ihresgleichen anzuerkennen bereit sind, einen großen Gefallen tun, wenn Sie den zur Disposition stehenden Paß einem der heutigen Vertriebenen in Ihrem Land zur Verfügung stellten.«
Am übernächsten Tag rief der Pressesprecher des Ministers an. Er war kurz angebunden, so als wäre er mir böse darüber, daß
Weitere Kostenlose Bücher